Die Prophezeiung der Nonne: Roman (German Edition)
ärgerlich«, sagte ich, »weil ich mich Chapuys’ Wünschen nicht füge.«
»Ich bin nicht ärgerlich, und ebenso wenig ist es der Botschafter«, entgegnete Jacquard sofort. »Denn die letzte Mitteilung, dieer erhalten hat, besagt, dass Ihr nicht zögern werdet, wenn der Moment gekommen ist. Und nicht nur das. Ihr werdet zu uns kommen und uns anflehen , Euch nach Gent zu bringen.«
»Niemals«, sagte ich.
Jacquard zog ein Schriftstück aus seinem Wams. »Habt Ihr Constable Scovill in letzter Zeit gesehen?«
»Das geht Euch nichts an«, sagte ich zähneknirschend.
Jacquard lächelte. »Wenngleich Eure amourösen Verwirrungen natürlich für uns alle von großem Interesse sind, ist das nicht der Grund meiner Frage. Geoffrey Scovill wurde vor zwei Tagen vom Polizeipräsidenten von Kent ein königlicher Befehl zugestellt. Er ist jetzt sicherlich sehr beschäftigt. Ich habe selbstverständlich eine Kopie des Befehls.«
Ich nahm ihm das Schriftstück aus der Hand und las: Das ganze Volk muss in Bereitschaft sein, sollten die Feinde Seiner Majestät versuchen, sein Reich zu besetzen. Jeder Constable muss eine amtliche Liste aller in seinem Bezirk wohnhaften Männer zwischen sechzehn und sechzig Jahren sowie allen Rüstzeugs und aller Waffen in ihrem Besitz erstellen. Die Männer müssen zur Musterung antreten, und die fähigsten unter ihnen sollen ausgewählt werden. Eine kleine Anzahl soll zurückgestellt werden, um, wenn notwendig, den Heimatort zu verteidigen.
»König Heinrich übernimmt seine Rolle in dem großen Spiel«, bemerkte Jacquard.
» Spiel? «, fragte ich.
»Den Kriegen, die von Königen um Land und Ruhm ausgetragen werden.«
Ich gab ihm das Papier mit zitternder Hand zurück. »Zwischen sechzehn und sechzig Jahren«, wiederholte ich und sah sie vor mir, die lachenden jungen Männer, die Lehrlinge, die stolzen jungen Väter, tüchtigen Kaufleute, Bauern und Fischer und Großväter. Edmund und Geoffrey.
»Wenn es zur Invasion kommt, wird es hier und im ganzen Land ein großes Blutvergießen geben«, sagte Jacquard. Er tippte mich am Ellbogen an. »So, wir haben lange genug hier herumgestanden.Ich bringe Euch jetzt hinaus. Nur eins solltet Ihr noch wissen.«
»Ja?«, fragte ich müde.
»Der Kaiser hat Chapuys zurückbeordert, kurz nachdem König Franz den französischen Botschafter zurückbeordert hatte. Das ist stets der Auftakt zu einer formellen Kriegserklärung. König Heinrich möchte Chapuys weiterhin am englischen Hof sehen; er hat Protest eingelegt. Doch spätestens Ende Juni wird unser Botschafter wohl dieses Land verlassen haben.«
Jacquard lächelte, als er mich nach draußen geleitete. »Beunruhigt Euch nicht, wenn es so weit kommt. Ich bleibe hier. Und meine Anweisungen sind klar – der Kaiser persönlich hat mich beauftragt, im Fall Joanna Stafford nach bestem Wissen und Gewissen zu handeln.«
Kapitel 37
Edmund kehrte weder am folgenden Tag zurück noch am Tag darauf. Ich war am Nachmittag vor Schwester Agathas Hochzeit viel zu nervös, um mich an den Webstuhl zu setzen. Seit dem Zusammentreffen mit Jacquard Rolin hatte ich kaum geschlafen. Immer wieder wälzte ich das beunruhigende Gespräch in meinen Gedanken. Und ich begann, mir um Edmund Sorgen zu machen. Schwester Winifred erkundigte sich und berichtete, dass auch die anderen beiden Männer aus Dartford noch nicht zurückgekehrt waren; einer hatte seine Frau unterrichten lassen, dass sie John nicht an dem Ort gefunden hatten, an dem er ursprünglich gesehen worden war, und sie deshalb weiter nach ihm suchen würden. An mir nagte die Furcht, Edmunds Abwesenheit könnte irgendwie mit der Prophezeiung zu tun haben, die wie ein Damoklesschwert über mir schwebte. Er wäre niemalsfortgegangen, wenn er alles gewusst hätte. Wie verhasst es mir war, Geheimnisse vor ihm zu haben. Wie sollten wir auf so einer Grundlage ein gemeinsames Leben beginnen? Doch ich musste schweigen, wenn ich ihn schützen wollte.
Schwester Winifred versuchte, mich zu trösten. »Macht Euch keine Sorgen«, sagte sie. »Ihr wisst doch, dass meinem Bruder Kranke und Notleidende wichtiger sind als jede Hochzeit – ausgenommen seine eigene.«
»Ja, natürlich.« Ich zwang mich zu lächeln.
Schwester Agatha war bei ihrer Hochzeit am folgenden Tag genauso aufgeregt, wie ich es mir vorgestellt hatte. Schwester Winifred und ich würden sie zur Dreifaltigkeitskirche begleiten. Die übrigen Gäste, unter ihnen die ehemaligen Nonnen unseres Klosters, würden uns
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