Die Prophezeiung der Nonne: Roman (German Edition)
ausgesöhnt.«
Gertrude schüttelte den Kopf. »Joanna, ich weiß, Ihr bevorzugt ein zurückgezogenes Leben. Aber geht das so weit, dass Ihr nicht einmal wisst, was in unserem Königreich vorgeht?«
»Ich weiß gar nichts«, erwiderte ich. Und es war die Wahrheit. Der Londoner Klatsch hatte mich nie interessiert, jedenfalls nicht mehr nach meinem ersten Ausflug an den verkommenen königlichen Hof. Jahre später, im Kloster, achtete ich aufmerksamer auf Nachrichten vom Hof, aber nur, soweit sie die Klöster betrafen. Jetzt mied ich allen Klatsch – nicht dass mir viel davon zugetragen worden wäre.
»England ist in großer Gefahr«, sagte Gertrude. »Vor vier Monaten wurde der Waffenstillstand von Nizza unterzeichnet – « Sie brach ab. » Davon werdet Ihr doch gehört haben?«
Ich wurde rot. »Nein.«
»Der König der Franzosen hat einen Waffenstillstand mit Kaiser Karl V. geschlossen. Der Papst selbst hat ihn vermittelt. Sie haben sich zum Kampf gegen das Osmanische Reich zusammengeschlossen.«
»Aber ist denn Frieden zwischen Frankreich und Spanien nicht wünschenswert?«, fragte ich, zornig über meine Unwissenheit. »Wie sollte das England schaden?«
Gertrude trat ans Fenster. Sie spähte hinaus, als fürchtete sie,draußen auf dem Sims verberge sich ein heimlicher Lauscher. Als sie sich wieder zu mir herumdrehte, sagte sie: »Die Türken sind vielleicht nicht die Einzigen, die Kaiser Karl im Visier hat. Er ist der mächtigste Herrscher der Welt und soll selbst gesagt haben, dass in seinem Reich die Sonne niemals untergeht. Spanien, die Niederlande, Österreich, Burgund, Teile von Italien, die Kolonien in der Neuen Welt – alle stehen sie unter seiner Herrschaft. Er verfügt über Heere und Flotten. Obwohl er noch nicht einmal vierzig Jahre alt ist, ist er der mächtigste Katholik auf Erden.«
Ich lernte Gertrude in diesem Augenblick von einer neuen Seite kennen. Ich sah die Frau des Höflings, die politische Entwicklungen verfolgte und verstand.
»Und der Kaiser ist entschlossen, die Häresie zu vernichten«, fuhr sie fort. »Es gibt Gerüchte, dass der Papst ihn beauftragt hat, England vom protestantischen Makel zu reinigen. Frankreich war über Jahre unser Verbündeter. Jetzt jedoch, da König Franz von Frankreich ein Abkommen mit Karl unterzeichnet hat und nicht mit uns, sind wir ungeschützt …«
»Wollt Ihr sagen, dass England von Spanien und Frankreich angegriffen und besetzt werden könnte?«
Sie nickte nur.
Es durchfuhr mich wie ein Blitz. »Lady Maria ist über ihre Mutter mit Karl blutsverwandt und ihm treu ergeben. Wenn Spanien England den Krieg erklärt, wird sie des Verrats verdächtigt werden.«
Wieder nickte Gertrude.
Wie konnte sich Lady Maria um mich sorgen, wenn sie selbst in solcher Gefahr war? Auf dem Sterbebett hatte Katharina von Aragón mir ihre Angst um ihre Tochter, die Prinzessin, offenbart und mich gedrängt, ins Kloster Dartford einzutreten, weil sie dort die Athelstan-Krone verborgen glaubte, die der Überlieferung nach dem alten Glauben die Rettung bringen würde. Sie hatte gehofft, ich würde Maria beschützen. Doch ich hatte versagt. Ich hatte nicht nur die gefährdete Prinzessin im Stich gelassen, sondern auch die von mir verehrte verstorbene Königin,weil ich nach der Zerstörung unseres Klosters in Selbstmitleid versunken war.
»Lady Maria hat in keinem ihrer Briefe etwas von diesen Entwicklungen angedeutet«, sagte ich schwach.
»Sie weiß, dass alle ihre Briefe von Cromwell geöffnet und gelesen werden«, versetzte Gertrude.
Das hieß, dass auch meine Schreiben an sie kontrolliert wurden. Doch ich hatte mich nie zu politischen Dingen geäußert, dessen war ich sicher. Trotzdem – meine Berichte über Arthurs Entwicklung, meine Träume von einer Tapisseriewerkstatt, meine Sehnsucht nach meinem Vater, es war alles so persönlich.
»Ich ertrage es kaum, Euch so bekümmert zu sehen.« Gertrudes Stimme zitterte.
Ich schaute überrascht auf. Sie kannte mich doch kaum. Doch schon folgte eine noch größere Überraschung. Gertrude Courtenay flog plötzlich auf mich zu und warf sich mir zu Füßen. In ihren braunen Augen glitzerten Tränen. Zum ersten Mal roch ich ihren Duft: Salbei, Kamille und Rosmarin, von einem seltsam bitteren Aroma unterlegt.
»Es ist ein Omen, es muss ein Omen sein, dass wir Euch gefunden haben«, rief sie. »Ich wollte mich in der Kirche nach Eurem Verbleib erkundigen. Dann Constance mit einer Nachricht zu Euch senden und um eine
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