Die Prophezeiung der Nonne: Roman (German Edition)
einzutreten begann. Der Knüppel flog in die Luft, und sie warfen ihn unter sich hin und her wie ein Spielzeug.
Ein Mann mit langen Haaren, die ihm zottig um die Schultern hingen, drängte sich durch das wogende Gewühl. Er hob eine Hand, als wollte er mir vom Pferd helfen.
In diesem Augenblick wünschte ich verzweifelt, ich hätte eine Gerte zur Hand, aber ich trug nie eine bei mir. »Weg da«, rief ich wie ein Kind.
Mit ausgestreckten Armen sprang er vorwärts und wollte mich um die Taille fassen. Ich versuchte, nach ihm zu treten, aber mein Fuß saß im Steigbügel fest.
Mit schallender Stimme rief James: »Männer, wir wollen keinen Ärger. Hier – für Eure Mühe.« Er schleuderte eine Handvoll Münzen in die Luft. Im Feuerschein glitzerten sie wie goldener Regen.
Der Mann, der mich vom Pferd hatte ziehen wollen, fuhr herum und stürzte sich in das allgemeine Gedränge um das Geld. Nun da die Straße frei war, gab ich meinem Pferd die Sporen. James, Gertrude, Joseph und ich preschten die Straße hinauf. An der ersten Biegung gab James uns Zeichen, ihm um die Ecke zu folgen. Wir ritten weiter, bis das Grölen der betrunkenen Spieler hinter uns nicht mehr zu hören war.
Dann gebot uns James mit erhobener Hand anzuhalten und auf unsere Leute zu warten, die zu Fuß unterwegs waren. Als sie keuchend und schweißgebadet angekommen waren, zählte James ab.
»Wir haben nur einen verloren«, verkündete er.
Einer der gedungenen Beschützer, ein hochgewachsener Mann, sagte: »Wir müssen umkehren. Ich kenne den Mann und seine Mutter, sie wohnen in meinem Sprengel. Wir können ihn nicht da liegen lassen. Er ist schwer verletzt – er könnte sterben. Die gehen jetzt bestimmt alle wieder rein, dann können wir ihn holen.«
»Nein«, sagte Gertrude sofort. »Dazu haben wir keine Zeit.«
Ich hörte jemanden fluchen.
»Wie heißt der Mann?«, fragte ich, und Gertrude neben mir schnalzte ungeduldig mit der Zunge.
»Owen, Lady«, murmelte der Mann.
»Ich bete für Owen«, sagte ich, »denn er hat die Verletzungen meinetwegen empfangen.«
James räusperte sich. »Wenn wir diese Angelegenheit hier abgeschlossen haben und zurück an der Suffolk Lane sind, kannst du ihn holen. Mein Bruder und ich helfen dir.«
Ich spürte das Zögern der Männer und schöpfte Hoffnung. Wenn sie das Angebot ausschlugen, bedeutete das vielleicht das Ende dieses irrwitzigen Unterfangens. Doch nach einem Augenblick der Unschlüssigkeit nahmen sie ihre alten Positionen ein, und James trabte mit seinem Pferd an die Spitze unserer Gruppe, allerdings nicht, ohne zuvor Gertrude einen ärgerlichen Blickzuzuwerfen. Sie bemerkte ihn nicht. Mir aber, die ihn sehr wohl bemerkte, kam ein ganz neuer Gedanke: Könnte man James vielleicht dazu bringen, sich gegen Gertrude zu stellen?
Wir ritten weiter, tiefer in die nächtliche Finsternis der Stadt. Alles war ruhig. Dann hielt der Fackelträger, der vorausging, unvermittelt an. Es war nichts Verdächtiges zu bemerken, dennoch schien er sich zu fürchten. James beugte sich von seinem Pferd zu ihm hinunter, um ihn etwas zu fragen.
»Sie haben den Mut verloren«, sagte ich zu Gertrude, »weil sie gemerkt haben, dass ihr Leben Euch nichts gilt.«
»Kein Menschenleben zählt mehr als die Vollendung unserer Aufgabe«, versetzte Gertrude.
»Und was ist mit Euch?«, fragte ich heftig. »Würdet Ihr Euer Leben dafür geben, dass ich die Prophezeiung empfangen kann?«
Bevor sie antworten konnte, hörten wir beide einen erstickten Schrei und drehten uns um. Joseph saß zusammengekrümmt auf seinem Pferd und hielt sich jammernd mit beiden Händen den Kopf.
»Was ist, Bruder?«, rief James.
»Schlimm«, stöhnte Joseph. »Es ist schlimm.«
Mein bisher so folgsames Pferd warf den Kopf und wich ein paar Schritte zurück. James’ Pferd begann sich im Kreis zu drehen. Er riss zornig an den Zügeln, um es zur Räson zu bringen.
Der erste Windstoß lupfte die Mähne meines Pferdes. Während des ganzen Ritts war die Luft still und schwer gewesen. Jetzt nicht mehr. Ein loser Fensterladen schwang klappernd hin und her. Die ganze Straße entlang war es, als begänne sich etwas zu regen. Etwas, das bisher geschlafen hatte und nun erwachte.
Furcht schnürte mir die Kehle zu.
James war jetzt bei Joseph. Doch er konnte seinen Bruder nicht beruhigen. »Es ist schlimm«, jammerte dieser immer wieder.
»Tut etwas – er macht die Pferde scheu«, rief Gertrude, deren Pferd ebenfalls nervös zu tänzeln begonnen
Weitere Kostenlose Bücher