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Die Prophezeiung der Schwestern - 1

Die Prophezeiung der Schwestern - 1

Titel: Die Prophezeiung der Schwestern - 1 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michelle Zink
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hat!«
    Meine Wangen werden heiß bei der Erwähnung unseres ungebührlichen Abenteuers. Ich hatte noch keine
Zeit, James von unserem Besuch bei Sonia Sorrensen zu erzählen. Nicht in dem Chaos, das nach unserer Rückkehr ausbrach. Und um ehrlich zu sein, bin ich dankbar für den Aufschub. Sonias Verhalten während der Sitzung brachte mich derart aus der Fassung, dass ich mich noch nicht hatte entschließen können, wie ich die ganze Sache James erklären sollte. Er weiß nur, was wir Miss Gray erzählten: dass wir ein wenig frische Luft schnappen wollten und uns verbotenerweise zu einem kleinen Spaziergang entschlossen. Jetzt allerdings, nach meinem Gespräch mit Sonia, bin ich der Meinung, dass es das Beste für alle ist, nicht von dieser Geschichte abzuweichen.
    »Außerdem«, fährt James fort, dem meine Unruhe entgangen ist, »darf ich wohl sagen, dass du es bist, die mich zur Dreistigkeit treibt. Na wenn schon? Warum kommen wir sonst zu diesem Ort, in den Schutz der Bäume und zu der tröstlichen Sicherheit unseres Felsens?« Er setzt sich auf den Stein, als ob er beweisen will, dass es auf der Welt keinen gemütlicheren Platz gibt, wobei er gleichzeitig ob der Härte des Felsens das Gesicht zu einer Grimasse verzieht. »Also gut, vielleicht ist der Felsbrocken nicht ganz so bequem, wie ich ihn in Erinnerung habe … Oder vielleicht ist er nur dann bequem, wenn du neben mir sitzt.« Er grinst übermütig, hebt die Augenbrauen und klopft auf den Platz neben sich.
    Ich lächle über seinen Versuch, mich anzulocken, schlendere zum Felsen und lasse mich neben ihm nieder. »Übrigens, es gibt etwas, das ich dir erzählen möchte. Etwas,
das möglicherweise mit dem Buch zu tun hat, das du in Vaters Bibliothek gefunden hast.«
    Sein Grinsen verblasst. Nur eine einzige Sache kann James von den Vertraulichkeiten ablenken, wegen der wir zu diesem geheimen Ort kommen, und das ist ein Gespräch über ein seltenes Buch. »Was denn?«
    Ich hole tief Atem und mache den ersten winzig kleinen Schritt. So werde ich es mit der Geschichte halten. Eins nach dem anderen. »Ich glaube, ich verstehe jetzt die Anspielung auf den Wächter und das Tor, wenn man so etwas überhaupt verstehen kann.«
    »Tatsächlich? Für mich hört sich das nach reinem Unfug an.«
    Ich schaue auf meinen Rock und glätte den Stoff auf meinem Schoß. Dann fange ich an. »Ja, nun … Vor ein paar Tagen noch hätte ich dir wohl zugestimmt, aber jetzt … Nun, weißt du, es gibt tatsächlich eine alte Geschichte … Eine Geschichte über Schwestern. Über Zwillinge, wie Alice und ich.«
    Er hört mir schweigend zu, meistens jedenfalls. Nur ein oder zwei Mal unterbricht er mich, um eine Frage zu stellen, wenn er etwas nicht versteht. Aber seine Fragen sind die eines Gelehrten, der seinen Wissensdurst stillen will. Es sind keine Fragen im eigentlichen Sinne des Wortes, keine Fragen, die darauf hindeuten, dass er die Geschichte für bare Münze nimmt. Stattdessen lauscht er ihr, wie er einem Märchen lauschen würde. Ich erzähle ihm alles; lediglich das Zeichen erwähne ich mit keinem
Wort. Als ich fertig bin, hüllt uns ein Schweigen ein, das voller Worte steckt.
    Endlich spricht er, mit einer Stimme, die sanft ist, wie um meine Gefühle nicht zu verletzen. »Aber … Warum habe ich noch nie von dieser Geschichte gehört, Lia? Als Buchhändler, als jemand, der erfahrenen Sammlern bei der Auswahl von Titeln und der Bestückung ihrer Bibliotheken zur Seite steht, wäre ich doch sicherlich bei der einen oder anderen Gelegenheit darüber gestolpert, nicht wahr?«
    Seine Zweifel erwecken Unsicherheit in mir und die Befürchtung, dass die Prophezeiung für alle, die nicht als Beweis für ihre Existenz das Zeichen tragen, unglaublich bleiben muss.
    Ich zucke mit den Schultern. »Ich weiß nicht, James. Ich wünschte, ich wüsste eine Antwort darauf, aber das tue ich nicht.«
    Dies ist der Moment, in dem ich ihm das Zeichen offenbaren müsste. Es ist gut versteckt unter meinem langen Ärmel. Ich kann fast fühlen, wie es brennt - eine stumme Mahnung, dass ich ihm ein wichtiges Detail der Geschichte vorenthalten habe.
    Aber ich sage nichts. Ich würde gerne behaupten, dass meine Angst, er würde mir trotzdem nicht glauben, der Grund für mein Schweigen ist, oder dass ich ihn in etwas so Dunkles und Rätselhaftes nicht verwickeln will. Aber die Wahrheit ist, dass ich das Zeichen als Brandmal empfinde. Es hat mich beschädigt, macht mich unrein.

    Und ich kann es nicht

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