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Die Prophezeiung der Schwestern - 1

Die Prophezeiung der Schwestern - 1

Titel: Die Prophezeiung der Schwestern - 1 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michelle Zink
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als sie noch ein Kind war. Und ihr Vater ebenfalls, kürzlich erst.«

    Die Augen der älteren Frau werden weit. In ihrem Blick liegt Mitleid. »Ah, das erklärt die Sache, denn es ist den älteren und klügeren Schwestern der Prophezeiung überlassen, für die Ausbildung der Töchter zu sorgen. Und Ihr Vater ist kürzlich von uns gegangen?« Ihre Stimme ist ein Schnurren und sie spricht die Frage nachdenklich aus und nicht ausdrücklich an mich gerichtet. »Nun, da haben wir’s. Sie haben ihren Schutz verloren. Sie haben den Schleier verloren.«
    Die Worte des Buches schießen mir durch den Kopf und winden sich, weich wie Rauch, in meinen Gedanken: Der Engel, bewacht nur durch einen zarten Schleier.
    »Den Schleier?« Meine Stimme ist nur noch ein Krächzen.
    Schließlich verliert sie ihre Geduld und wirft resigniert die Arme hoch. »Treten Sie denn der Prophezeiung gänzlich ahnungslos entgegen? Wie wollen Sie kämpfen, wenn Sie Ihren Feind nicht kennen? Wenn Sie nicht wissen, welche Waffen Ihnen zur Verfügung stehen?« Sie seufzt tief auf. »Es ist geweissagt, dass der Engel einen Beschützer hat. Einen irdischen Beschützer zwar, aber dennoch ein Mensch, der über den Engel wacht. Ansonsten wäre der Engel ja völlig hilflos, und Samael würde den Weg in die diesseitige Welt finden, ehe diese Schwester alt genug ist, um ihre Macht einzusetzen. Bevor sie alt genug ist, um die Wahl zu treffen. Denn jede Schwester hat die Wahl, meine Liebe. So wurde es am Anbeginn der Zeit festgelegt. Nur durch den Schutz des Schleiers hat die
Tor-Schwester die Möglichkeit, erwachsen zu werden und zu wählen. Solange dieser Beschützer am Leben ist, kann das Untier dem Tor nichts anhaben. Wann starb Ihr Vater, meine Liebe?«
    »Vor … vor etwa zwei Wochen.«
    »Und waren die Umstände seines Todes … ungewöhnlich ?«
    »Ja«, hauche ich.
    Sie tupft sich mit der Serviette die Mundwinkel ab. »Ich bin untröstlich, mein Kind. Die Prophezeiung ist selbst für die Eingeweihten und Entschlossenen der Schwesternschaft eine Last. Für jemanden, der so sich selbst überlassen ist wie Sie … Nun, es muss Ihnen alles unvorstellbar erscheinen. Ich werde Ihnen, so gut ich kann, weiterhelfen. Fangen wir mit Ihrem Vater an. Mit seinem Tod.«
    Die Kehle wird mir eng. »Was hat das mit der Prophezeiung zu tun?«
    »Alles«, sagt sie einfach. »Die Seelen warten seit Jahrtausenden darauf, in die Welt zurückzukehren. Sie, meine Liebe, sind der Engel, der die Macht hat, es wahr werden zu lassen oder sie auf ewig zu verbannen. Lassen Sie sich nicht täuschen - die Seelen werden vor nichts haltmachen, um sich Ihrer zu bemächtigen.«
    Ich will lachen angesichts dieser absurden Behauptung, aber dann denke ich an das Gesicht meines Vaters im Tod. An die offenen Augen. Seine entsetzte Grimasse, die ihn so entstellte, dass ich ihn kaum wiedererkannte. Ich denke an diese Dinge, und eine alles verschlingende Trauer erfüllt
mich und erwächst zu etwas wie Zorn und Fassungslosigkeit, die sich letztendlich in Begreifen wandelt.
    Als ich Madame Berrier wieder anschaue, ist das, was ich sage, keine Frage mehr. »Er wurde von den Seelen getötet. Er wurde meinetwegen getötet.«
    Traurig schaut sie mich an. »Sie dürfen sich nicht die Schuld am Tod Ihres Vaters geben, Miss Milthorpe. Jeder Beschützer nimmt die Aufgabe des Schleiers freiwillig auf sich. Um eine solche Rolle zu akzeptieren, muss er Sie sehr geliebt haben, mein Kind. Auch er hat eine Wahl getroffen.« Madame Berriers Stimme klingt mütterlich und tröstend. »Es ist ein Wunder, dass sie ihn nicht früher holten. Dass er ihnen so lange widerstehen konnte … Nun, er muss ein sehr starker Mann gewesen sein und außerdem entschlossen, Sie zu beschützen.«
    Ich schüttele den Kopf und versuche, die Wahrheit über den Tod meines Vaters zu begreifen. »Aber er reiste nie mit den Schwingen. Er hätte mir davon erzählt, wenn er davon gewusst hätte.«
    Madame Berrier denkt einen Moment über meine Worte nach und nickt dann knapp. »Vielleicht. Aber die Seelen sind listig, mein Kind, und Samael ist der Listigste von allen. Das Untier und seine Gefolgsleute können jede nur erdenkliche Gestalt annehmen … die eines Menschen, eines Tiers, eines Dämons, oder sie erscheinen nur als Schatten. Es ist möglich, dass die Seelen Ihren Vater dieses eine Mal mit etwas anlockten, was ihm viel bedeutete. Etwas, das er über alle Maßen liebte.«

    Bei diesen Worten zuckt mir der Anblick des dunklen Zimmers

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