Die Prophezeiung der Schwestern - 1
wachsamen Augen zu entwischen. Sie arrangiert so viele Sitzungen für mich, dass ich kaum zum Luftholen komme.«
»Schon gut, Sonia, aber … was um Himmels willen machen wir denn hier?«
Sie steht einen Moment still da, die Hand auf die Brust gelegt, während sie versucht, wieder zu Atem zu kommen. »Ich habe herumgefragt, vorsichtig natürlich, und jemanden gefunden, der vielleicht ein paar Antworten weiß
wegen …« Misstrauisch beäugt sie Edmund. »Nun, wegen der Dinge, über die wir gesprochen haben.«
Edmund schaut grimmig drein.
Ich nicke. »Also gut.«
Sonia nimmt meine Hand und führt mich zu dem dunklen Hauseingang. »Ich habe wieder und wieder über die Prophezeiung nachgedacht, aber ich werde nicht schlau daraus, auch jetzt nicht, nachdem du mir das Buch gezeigt hast. Ich dachte, wir könnten ein wenig Beistand gut gebrauchen. Es war nicht leicht, jemanden zu finden. Aber wenn irgendjemand uns helfen kann, dann ist es Madame Berrier.«
Allein schon der Name klingt geheimnisvoll, aber dennoch folge ich Sonia zu der unscheinbaren Tür. Sie hebt die Hand und klopft, und kurz darauf wird die Tür von einer anmutigen und modisch gekleideten Frau geöffnet.
»Guten Tag. Bitte kommen Sie herein.« Sie ist offensichtlich Französin, aber in ihrer Stimme liegt noch ein anderer, exotischer Akzent, den ich nicht einordnen kann. Sie geleitet uns in ein enges Foyer. Ihre Augen richten sich über meine Schulter hinweg auf etwas hinter mir, und als ich ihrem Blick folge, sehe ich Edmund, der nicht bei der Kutsche auf uns warten will. Sie betrachtet ihn abschätzend, und ihre Augen zucken interessiert über sein markantes Gesicht.
Ich wende mich ihm zu. »Edmund, wären Sie damit einverstanden, hier auf uns zu warten, während wir mit dieser Dame sprechen?«
Er überlegt und reibt dabei über die Bartstoppeln auf seinem Kinn.
»Wir sind direkt hier in dieser Wohnung.«
Er nickt knapp und klappt seinen langen Körper auf einer schmalen Bank zusammen, die an der Wand steht.
»Folgen Sie mir.« Madame Berrier geht uns voran durch einen spärlich beleuchteten Flur, von dem rechts und links Türen in verschiedene Wohnungen führen.
»Danke, Madame, dass Sie uns so kurzfristig empfangen. Ich weiß, wie beschäftigt Sie sind.« Sonias Stimme schallt durch den schmalen Flur. Zu mir gewandt, sagt sie: »Madame Berrier ist eine der gefragtesten Hellseherinnen von New York. Manche ihrer Kunden reisen Hunderte von Meilen, um sich von ihr die Karten legen zu lassen.«
Ich lächle, als ob ich schon immer eine Hellseherin zur Freundin gehabt hätte, als ob ich es gewohnt sei, mich in den Hinterhöfen der Stadt mit denjenigen zu treffen, die über dunkle und fragwürdige Kräfte verfügen.
Madame Berriers Stimme klingt gedämpft, weil sie vor uns geht. »Es ist mir ein Vergnügen. Auch Sie besitzen große Kräfte, meine Liebe. Es ist nur recht und billig, dass wir uns gegenseitig helfen, nicht wahr? Außerdem habe ich nicht oft Gelegenheit, über die Prophezeiung der Schwestern zu sprechen.«
»Die Prophezeiung der Schwestern?«, hauche ich Sonia zu, während Madame Berrier uns in eine elegante Wohnung führt, die einen krassen Gegensatz zu dem verfallenen und ärmlichen Äußeren des Hauses bildet.
Sonia zuckt mit den Schultern und folgt der älteren Frau in einen gut ausgestatteten Salon.
»Bitte setzen Sie sich.« Madame Berrier weist auf ein rotes Samtsofa, während sie auf einem Stuhl mit geschnitzter Lehne Platz nimmt. Zwischen uns steht ein kleiner Holztisch, der so warm wie ein glänzend polierter Apfel schimmert. Darauf stehen eine silberne Kanne, zierliche Porzellantassen und -teller und eine kleine Schale mit Keksen. »Möchten Sie etwas Kaffee? Oder halten Sie es mit der englischen Tradition und bevorzugen Tee?«
»Kaffee, bitte.« Meine Stimme kommt selbstbewusster aus meinem Mund, als ich es unter den gegebenen Umständen erwartet hätte.
Sie nickt und greift mit einem anerkennenden Lächeln nach der Kanne. »Und für Sie?«, fragt sie Sonia.
»Danke, für mich bitte nicht. Kaffee beeinträchtigt manchmal meine Sitzungen.«
Madame Berrier nickt und stellt die Kanne wieder auf das Silbertablett. »Ja, Kaffee und Tee hatten auch auf mich die gleiche Wirkung, als ich noch jünger und sensibler war auf äußere Reize reagierte. Ich denke, dass diese Dinge Sie weniger stören werden, je älter Sie werden und je mehr Sie ihre Kräfte beherrschen, meine Liebe.«
Sonia nickt, und ich sehe, dass sie mit
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