Die Prophezeiung der Schwestern - 1
alter Name. Jetzt heißt es Avebury.«
Ich schaue auf das Buch hinunter. Auf der Seite prangt die Zeichnung eines Künstlers. Sie zeigt kleine Steine, die einen Kreis bilden, durch den eine Linie verläuft. Das sagt mir überhaupt nichts.
»Ich verstehe nicht. Was ist das?« Ich gebe Luisa das Buch, aus Angst, dass sie einen Anfall bekommt, wenn sie noch länger warten und Mr Wigans bedächtigen Worten lauschen muss.
»Nun, es ist ein Steinkreis! Ein weniger bekannter, zugegeben, aber nichtsdestotrotz ein Steinkreis.«
Seine Erklärung rührt an etwas in meinem Geist. »Ein Steinkreis … Sie meinen, wie der große in England? Stonehenge?«
Er nickt wissend. »Ah, ja. Stonehenge. Den scheint jeder zu kennen, aber es gibt noch viele andere, überall verteilt auf den britischen Inseln.«
Sonia hat jetzt das Buch auf dem Schoß. Sie schaut zu Mr Wigan hinüber. »Und dieses … Avebury ist einer davon? Einer von diesen Steinkreisen?«
»Aye. So ist es.« Mehr scheint er dazu nicht zu sagen zu haben.
Luisa schaut mich angespannt an, ehe sie ihn fragt: »Und was ist mit der steinernen Schlange? Warum wird in der Prophezeiung Avebury mit einer Schlange in Verbindung gebracht?«
»Na, das ist ja das Komische. Nicht viele Menschen wissen von der Verbindung zwischen Avebury und der Schlange, aber wenn jemand die Linien des Steinkreises nachziehen würde, würde man sehen, dass sie in der Form einer Schlange verlaufen. Einer Schlange, die sich durch einen Kreis windet.«
Der erschreckte Ausdruck auf den Gesichtern von Sonia und Luisa ist wohl ein Spiegel meines eigenen, denn eine Schlange, die sich durch einen Kreis windet, kommt dem Bild einer Schlange, die sich um einen Kreis windet, ziemlich nah - dem Bild auf dem Medaillon und auf den Zeichen, die wir tragen.
»Aber was hat ein Steinkreis in England mit uns zu tun? Mit der Prophezeiung?«, will Luisa wissen.
Ich nehme die Übersetzung zur Hand und lese laut vor: » Erschaffen in dem ersten Atemzug von Samhain, im Schatten der Mystischen Steinschlange von Aubur .« Hilfe suchend schaue ich Mr Wigan an. »Die Schlüssel. Etwas über die Schlüssel, die in der Nähe von Avebury erschaffen
werden … Was ist mit den Ortschaften in der Umgebung? Vielleicht gibt es bei Avebury eine Stadt, wo die Schlüssel versteckt sind oder wo sie hergestellt wurden? Vielleicht eine Stadt mit einer Schmiede?«
Mr Wigan kratzt sich am Kopf und legt nachdenklich die Stirn in Falten. »Nun, die meisten Steinkreise liegen weit außerhalb von menschlichen Siedlungen, aber… Aber vielleicht habe ich etwas, das uns Näheres darüber sagen kann.«
Wieder steht er auf, geht zu einem großen Schreibtisch, der an einer Wand steht und mit allen möglichen Dokumenten, Papieren und Büchern übersät ist. Er öffnet eine der unteren Schubladen und kramt darin herum. Dann taucht er mit einer Pergamentrolle wieder auf, die er fröhlich durch die Luft schwenkt.
»Ich hab’s! Kommt her und schaut.«
Er macht sich nicht die Mühe, den Schreibtisch freizuräumen, sondern legt die Pergamentrolle einfach oben auf den Haufen, rollt sie langsam auf, bis eine Landkarte sichtbar wird. Luisa fixiert die Karte an den vier Ecken mit einem Stein, zwei Büchern und einem Glasbehälter.
Mr Wigan setzt seine Brille auf und wir alle - einschließlich Edmund - beugen uns über die Karte. Unsere Blicke treffen sich, und in seinen Augen sehe ich, dass unser Geheimnis bei ihm gut aufgehoben ist. Er ist der Angestellte, der schon am längsten bei uns ist. Er war Vaters ältester und vertrautester Freund. Wenn ich ihm nicht vertrauen kann, wem kann ich dann trauen?
»Also schön. Avebury. Hier.« Mr Wigan deutet mit einem knorrigen Finger auf einen Ort nahe der Mitte der Karte.
In dem düsteren Licht der Hütte kann ich nur undeutlich die Buchstaben A-U-B erkennen.
»Ja, aber ich vermute, dass die Schlüssel nicht genau dort sind«, argumentiert Luisa und betrachtet die Karte, während sie an ihrem Daumennagel kaut. »In der Prophezeiung steht im Schatten der Steinschlange , also in der Nähe, nicht wahr?«
»Aye.« Mr Wigan nickt. »Das ist wahrscheinlich. Mal sehen …« Er fährt mit dem Finger von dem Punkt aus, auf dem Avebury liegt, über die Karte. »Da wäre Newbury. Hier.« Er tippt mit dem Finger auf die Karte, ganz in der Nähe von Avebury. Ich kann keine Schrift erkennen, die diesen Ort als Newbury identifiziert, aber er scheint die Karte recht gut zu kennen. »Und dann haben wir hier noch
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