Die Prophezeiung von Umbria
heftiger ich damit zustoße, desto größer ist die Verletzung, die ich meinem Feind zufüge.”
Bei der Vorstellung krampfte sich Maura der Magen zusammen. “Was hat das mit der Weißen Magie zu tun?”
Etwas hilflos zuckte Rath mit den Schultern, als wüsste er nicht, wie er sich ihr verständlich machen sollte. “Du streust eine winzige Prise Farn oder Federn oder Spinnweb und Menschen verschwinden, schlafen gegen ihren Willen ein oder können sich nicht bewegen. Ist es dir nie schwer gefallen zu glauben, dass etwas Kleines solche Kraft hat?”
“Langbard lehrte mich, dass in allem Kraft wohnt, egal wie klein es ist. Es geht nur darum, wie man diese Kraft freisetzen kann.”
Rath nickte. Doch dabei runzelte er die Stirn, als könne er den Sinn ihrer Worte nicht ganz begreifen.
Als es dunkel geworden war und Maura Kerzenflachs von Mondmalven nicht mehr unterscheiden konnte, beschlossen sie und Rath, dass sie sich jetzt eine Ruhepause und ein genüssliches Bad im Teich verdient hätten.
Maura zog die schweren Stiefel und die dicken Strümpfe aus und steckte aufseufzend ihre brennenden Füße ins warme Wasser. “Tut das gut! Jedes Haus in Umbria sollte seine eigene warme Quelle haben.”
Rath ließ seinen Schwertgürtel ins Gras fallen und zog die wattierte lederne Weste aus. Das Licht war bereits zu schwach, als dass Maura mehr als nur seine undeutliche Silhouette gesehen hätte. Doch das genügte schon, um ihre Gefühle durcheinander zu wirbeln. Rath hatte Recht gehabt, mit dem Baden bis zur Dunkelheit zu warten!
“Ist das ein königlicher Befehl?”, fragte er ironisch über die Schulter. “Du würdest dich damit als Königin bei deinem Volk sehr beliebt machen.”
Maura schlüpfte aus ihrer Tunika. “Auch wenn du an das, was ich tue, nicht glaubst, brauchst du dich noch lange nicht über mich lustig zu machen.”
Nur ein fast unhörbares Rascheln im Gras sagte ihr, dass Rath zu ihr kam. Plötzlich kniete er vor ihr und griff nach ihrer Hand. “Verzeih, Maura. Ich mache mich über vieles lustig, mich selbst eingeschlossen. Doch ich schwöre, ich wollte mich nie über
dich
lustig machen.”
Er hatte sein Hemd ausgezogen. Die Sterne, die am klaren dunklen Himmel über ihnen leuchteten, spendeten genügend Licht, dass Maura ihn sehen konnte. Eine starke Aura der Männlichkeit umgab ihn. Wie unter einem Zauber fühlte Maura sich zu ihm hingezogen. Wie leicht wäre es, sich diesem Zauber hinzugeben. Und wie falsch – für sie beide.
“Es gibt den Wartenden König.” Sie sprach die Worte in der alten umbrischen Sprache, als wären sie ein Gegenzauber, der sie vor der machtvollen Kraft schützen könnte, die von Raths Nähe und ihrem eigenen Verlangen ausging. “Du wirst sehen.”
“Vielleicht.” Rath presste die Wange auf ihre Hand. “Doch sag, solltest du erkennen müssen, dass es ihn nicht gibt und du nicht für ihn bestimmt bist, würdest du …”
Sie wartete, dass er den Satz vollendete, und war hin und her gerissen, was sie ihm darauf antworten sollte.
Würde sie es wagen, ihm zu gestehen, wie sehr sie sich danach sehnte, in seinen Armen zu liegen? Sich danach sehnte, endlich den mächtigsten Lebenszauber kennen zu lernen, für den man keine Zaubermittel brauchte, sondern nur einen Mann und eine Frau? Keine andere Beschwörungsformel als die zärtlichen Liebesworte von Verliebten, der wortlose Zauber von Kuss und Berührung?
Er war ein kraftvoller, herrischer Mann. Wenn er um ihr Verlangen nach ihm wüsste, würde er ihre Schwäche ausnutzen? Sie zwingen, sich ihm zu ergeben?
Wie sollte sie denn dann die wahrsten Gefühle ihres Herzens leugnen?
“Würde ich … was?”
Sie fühlte seine Anspannung. Und sie fühlte noch etwas. Sie spürte, wie sein Herz und sein Willen miteinander kämpften. Es war wie ein straff gespanntes Seil, an dem zwei unterschiedliche Kräfte zogen.
Dann zerriss das Seil.
Ein Teil von ihr wünschte, er würde sie mit Gewalt nehmen und sie so von der Qual der Entscheidung erlösen. Dann würde ihr geheimster Wunsch erfüllt, ohne dass sie ihren Auftrag verraten müsste.
“Nichts.” Er ließ ihre Hand los. “Vergiss, dass ich je solch eine dumme Frage stellen wollte.”
Er sprang auf und verschwand in der Dunkelheit. Kurz darauf hörte Maura, wie das Wasser aufspritzte, als er in den Teich sprang. Sie atmete tief durch und fühlte sich müde und erschöpft.
Nach einiger Zeit kniete sie sich hin, um ihre Tunika zu waschen. Es tat ihr gut, den nassen
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