Die Prophezeiungen von Celestine
Schweigen. Meine Gedanken wanderten wieder zu Dobson und dann zurück zur
Neunten Erkenntnis. Mit einem Mal wurde mir klar, daß die Neunte enthüllen würde, in welche Richtung sich der Mensch im Verlauf dieser Evolution entwickelte. Ich hatte ihn gefragt, wie Menschen nach den Erkenntnissen des Manuskriptes miteinander umgehen würden, und diese Frage war durch die Achte Erkenntnis beantwortet worden. Die nächste logische Frage bestand darin, wohin alles führen würde, wie sich die menschliche Gesellschaft ver-
ändern würde? Das würde die Neunte Erkenntnis erklären, dessen war ich mir jetzt sicher.
Aus irgendeinem Grund wußte ich auch, daß die ses Wissen dazu dienen konnte, Kardinal Sebastians Befürchtungen bezüglich einer bewußten Evolution zu beschwichtigen... Wenn es mir nur gelingen würde, ihn zum Zuhören zu bewegen.
»Ich bin weiterhin der Ansicht, daß der Kardinal von den Inhalten des Manuskriptes überzeugt werden kann!« sagte ich im Brustton tiefer Überzeugung.
»Wirst du derjenige sein, der ihn überzeugt?«
fragte Sanchez.
»Nein..., nein, nicht ich. Ich werde mich in Gesellschaft von jemandem befinden, der einfacheren Zugang zu ihm hat, jemand, der ihn kennt und ihn in seiner Sprache ansprechen kann.«
Sowie ich das gesagt hatte, blickten Julia und ich auf Pater Sanchez.
Er versuchte zu lächeln, und als er sprach, schwang eine leichte Resignation in seiner Stimme mit. »Kardinal Sebastian und ich sind seit langer Zeit dabei, einer Konfrontation wegen des Manuskriptes aus dem Weg zu gehen. Er ist immer mein Vorgesetzter gewesen. Er war mein Mentor, und ich muß zugeben, daß ich zu ihm aufgesehen habe. Doch ich habe immer gewußt, daß es eines Tages zu dieser Auseinandersetzung kommen würde. Mein gesamtes Leben steuere ich schon darauf hin.«
Angespannt blickte er auf Julia und mich und fuhr dann fort: »Meine Mutter war eine Vertreterin der Reformation. Sie verabscheute den Begriff der Schuld und Zwangsmaßnahmen bei der Evangelisie -rung. Sie wollte, daß die Leute sich aus Liebe und nicht aus Furcht der Religion zuwandten. Mein Vater auf der anderen Seite war ein Verfechter strenger Diziplin, wurde Priester und glaubte wie der Kardinal
hartnäckig an Tradition und Autorität. Deshalb wollte ich mich innerhalb der Kirche um eine Verbesserung bemühen, indem ich eine stärkere Betonung auf die höhere religiöse Erfahrung legte.
Mich mit dem Kardinal auseinanderzusetzen ist der nächste, folgerichtige Schritt für mich. Ich habe mich dagegen gesträubt, doch jetzt weiß ich, daß ich mich zu Kardinal Sebastians Mission in Iquitos auf den Weg machen muß.«
»Ich werde Sie begleiten«, sagte ich.
Das Auftauchen einer Kultur
Die Straße nach Norden wand sich durch dichten Dschungel und führte uns über mehrere große Flüsse - Seitenarme des Amazonas, wie Pater Sanchez mir erklärte. Wir waren früh aufgestanden und hatten Julia in aller Eile auf Wiedersehen gesagt. Dann waren wir in einem geborgten Geländewagen mit erhöhtem Chassis und übergroßen Reifen aufgebrochen. Im Verlauf unserer Reise stieg die Landschaft leicht an, die Bäume wurden mächtiger und standen weiter auseinander.
»Hier sieht es aus wie in der Nähe von Viciente«, sagte ich zu Sanchez.
Er lächelte mich an. »Wir befinden uns gerade in einem Gebiet von ungefähr fünfzig mal zwanzig Meilen Größe, das sich von der restlichen Landschaft hier unterscheidet. Es erstreckt sich bis hin zu den Ruinen von Celestine und gilt unter energetischen Gesichtspunkten als besonders spektakulär. Von allen Seiten wird das Gebiet durch Dschungel begrenzt.«
In einiger Entfernung, am Rande des Dschungels, bemerkte ich einen Flecken gerodetes Land. »Was ist das dort?« fragte ich und zeigte mit dem Finger in die Richtung.
»Das ist die Vorstellung der Regierung von land-wirtschaftlicher Entwicklung«, sagte er.
Auf breiter Fläche hatte jemand mit Hilfe einer Planierraupe Bäume entwurzelt und zu Haufen zu-sammengeschoben, einige davon waren teilweise ver-brannt. Eine Viehherde graste ungehindert zwischen den wilden Gräsern und der aufgerissenen zerstörten Erdoberfläche. Verstört durch das Motorengeräusch, sah das Vieh uns nach. Ich bemerkte eine weitere frisch planierte Fläche, und mir wurde klar, daß die Rodung sich auf die riesigen Bäume zubewegte, die wir unterwegs passiert hatten.
»Das sieht ja grauenhaft aus«, sagte ich.
»Ist es auch«, gab Sanchez zurück. »Selbst Kardinal Sebastian ist
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