Die Prophezeiungen von Celestine
festzunehmen. Von deinen Freunden hat er kein Wort gesagt.«
»Haben Sie dem Gesandten geglaubt?«
»Nein. Nachdem er gegangen war, setzten wir
unser Treffen fort. Wir kamen überein, eine Politik des stillen Widerstandes zu betreiben, und werden weiterhin Kopien anfertigen, die mit der gebotenen Vorsicht verteilt werden sollen.«
»Werden die Oberhäupter Ihrer Kirche das gestatten?« fragte ich.
»Das wissen wir nicht«, sagte Sanchez. »Die Kirchenältesten haben das Manuskript bisher zwar ab-gelehnt, sich aber nicht darum gekümmert, wer von uns darin involviert ist. Unsere Hauptbedenken gelten einem Kardinal, der weiter nördlich von hier lebt; sein Name ist Kardinal Sebastian. Er hat sich bisher am deutlichsten gegen den Inhalt des Manuskriptes ausgesprochen und ist sehr einflußreich. Wenn es ihm gelingen sollte, die Führung des Landes davon zu überzeugen, stärkere Maßnahmen gegen die
Verbreitung des Manuskriptes zu ergreifen, werden wir vor einer sehr interessanten Entscheidung stehen.«
»Weshalb ist er so vehement gegen das Manu-
skript?«
»Er hat Angst.«
»Wovor?«
»Ich habe lange nicht mit ihm gesprochen, und das Manuskript haben wir bei unseren Unterhaltungen immer ausgespart, aber ich weiß, daß er die Ansicht vertritt, die Aufgabe des Menschen bestehe darin, ohne spirituelles Wissen seine Aufgabe im Kosmos zu verrichten - als Motivation muß ihm der reine Glauben genügen. Er fürchtet außerdem, das Manuskript könne den Status quo und die Befugnisse der weltlichen und geistlichen Autorität untergraben.«
»Wie soll ein Manuskript das schaffen?«
Er lächelte und neigte leicht den Kopf. »Die Wahrheit ist's, die Euch befreien wird.«
Ich sah ihn an und versuchte zu verstehen, was er meinte, während ich die letzten Bissen Frucht und Brot von meinem Teller aß. Er nahm noch einige kleine Happen zu sich und rutschte dann mit seinem Stuhl zurück.
»Du kommst mir um einiges stärker vor«, sagte er.
»Hast du mit jemandem aus der Mission gesprochen?«
»Ja«, sagte ich. »Ich habe von einem der Priester gelernt, wie man in Verbindung mit der Energie tritt Ich... weiß seinen Namen nicht, aber er saß zwischen den Bäumen, als wir uns gestern morgen im Innenhof unterhalten haben. Als ich später mit ihm sprach, brachte er mir bei, wie man Energie absorbiert und wieder zurückprojiziert.«
»Er heißt John«, sagte Sanchez und bedeutete mir mit einer Kopfbewegung, in meiner Erzählung fortzufahren.
»Es war eine absolut erstaunliche Erfahrung«, sagte ich. »Durch reine Erinnerung an bereits empfundene Liebe war es mir möglich, mich zu öffnen. Den ganzen Tag habe ich in diesem Zustand zugebracht.
Zwar erreichte ich nicht den Zustand, den ich auf dem Berg hatte, doch war ich nahe dran.«
Mit einem Mal wirkte Sanchez sehr ernst. »Die Rolle der Liebe hat lange Zeit für grundlegende Mißverständnisse gesorgt. Wir sollten sie nicht prak-tizieren, um gut zu sein oder die Welt aus einem abstrakten moralischen Verantwortungsgefühl heraus zu einem besseren Platz zu machen beziehungs weise unser hedonistisches Treiben aufzugeben. Die Verbindung mit der Energie erzeugt Erregung, Euphorie und schließlich Liebe. Ausreichend Energie zu generieren, um den Zustand der Liebe aufrechtzuerhalten, würde der Welt bestimmt nicht schaden, doch in erster Linie hilft es dem einzelnen. Dieses ist die hedonistischste Tat, die wir vollbringen können.«
Ich stimmte ihm zu und bemerkte, daß er mit
seinem Stuhl einen weiteren halben Meter von mir abgerückt war und mich durchdringend ansah.
»Nun, wie sieht mein Energiefeld aus?« fragte ich.
»Es ist viel größer geworden«, sagte er. »Du mußt dich sehr wohl fühlen.«
»Tue ich.«
»Gut. Darum geht es hier bei unserer Arbeit.«
»Erzählen Sie mehr davon«, sagte ich.
»Wir bilden Priester aus, um sie hinauf in die Berge zu schicken und dort mit den Indianern arbeiten zu lassen. Das ist ein einsames Leben, und die Priester müssen über außergewöhnliche Kräfte verfügen. Jeder der Männer hier ist vor seiner Aufnahme einer sorgfältigen Prüfung unterzogen worden, und sie alle haben eines gemein: Jeder von ihnen hat ein Erlebnis gehabt, das er mystisch nennt.
Ich studiere derartige Erlebnisse seit vielen Jahren und bin der Ansicht, daß jemand, der bereits eine mystische Erfahrung hatte, es einfacher haben wird, zu diesem Zustand zurückzufinden und die eigene Energie zu erhöhen. Andere können es ebenfalls schaffen, doch es
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