Die Pubertistin - eine Herausforderung
seiner Umwelt mit diesem Slalom der Gefühle antut? Es ist ja nicht so, dass Er wachsene jederzeit in der Lagesind, die Emotionen einer Fünfzehnjährigen nicht persönlich zu nehmen. Auch sie haben Gefühle. Wir legen bei der Oma ein gutes Wort für die Pubertistin ein. Dabei wissen wir, was sie in der letzten Woche in diesem Zwanzig-Quadratmeter-Wohnwagen durchgemacht haben muss. Sie fühlt sich ausgenutzt, schlecht behandelt, abgelegt von einem Kind, das sie über alle Maßen liebt. Und weil das so traurig und brutal ist, hat diese Geschichte kein versöhnliches Ende.
Meta geht in ihre Klasse, die beiden kennen sich schon seit dem Kindergarten. Meta ist das, was man einen laufenden Meter nennt: klein und dick. Sie trägt eine starke Brille, und ein grausamer Gott hat ihr eine unübersehbare Zahnspange verpasst, was Meta wiederum veranlasst hat, sich ihre langen aschblonden Locken schräg ins Gesicht zu kämmen. Insgesamt also eine eher traurige Erscheinung, wie man sie unter Pubertierenden öfter antrifft. Und nun hat Meta es auch noch besonders schwer. Denn Meta hat seit diesem Schuljahr einen persönlichen Peiniger.
Lukas heißt der Junge, der Metas ohnehin kompliziertes Leben erst richtig schwer erträglich macht. Dieser Zeitgenosse hält es für eine gute Idee, lautstark über Metas Busen nachzudenken, er lässt die Welt teilhaben an ungemein witzigen Wortspielen, Metas Körper und ihre Kleidung betreffend. Im Sportunterricht postiert sich der pfiffige Lukas in Metas Nähe und lädt unter höhnischem Grinsen andere Jungs aus der Klasse ein, sich doch einmal Metas Leistungen im Bodenturnen oder an der Sprossenwand genauer zu betrachten und pointiert zu kommentieren. Damit keiner auf die Ideekommt, über seinen Stimmbruch, die doch recht mageren Oberarme oder seine dreieinhalb Barthärchen zu lächeln, hat Lukas sich aus den beiden versetzungsgefährdeten Jungen der Klasse eine Art Privatarmee rekrutiert. Sie stehen bereit, jedes andere Mädchen, das für Meta Partei ergreift, mit Hohn und Spott zu überziehen, notfalls auch mal ein bisschen zu schubsen.
Es ist eine vertrackte Sache mit der Solidarität. Wir schauen der Pubertistin tief in die Augen und fragen, wie denn ihr Beistand für ihre alte Freundin Meta aussieht. Ich bin doch nicht verrückt, sagt unsere sonst so gerechtigkeitsfanatische Tochter, wenn ich da was sage, bin ich selber dran. Eine niederschmetternde Bilanz nach zehn Jahren Mädchenfreundschaft.
Wir überlegen, was zu tun sei, und bieten der Pubertistin an, mit ihrem Klassenlehrer über die Sache zu reden. Das, erfahren wir, sei keine gute Idee. Denn der hat auch ohne das Meta-Problem alle Hände voll damit zu tun, den zwar sehr intelligenten, aber ständig störenden Lukas in den Griff zu kriegen. Manchmal, sagt die Pubertistin, sei das, was der Lukas da sovon sich gebe, auch richtig witzig, vor allem, wenn er die Lehrer nachäffe. Wir sind fassungslos. Nicht nur, weil dieser Knabe offenbar ein dickes Problem zu haben scheint, sondern auch, weil unsere vielversprechende Tochter sich ihren Schulalltag, das Aufgehobensein in der Gruppe einfach so von einem Sozialversager abkaufen lässt. Was glaubst du, sagt der Vater zu ihr, wenn Lukas genug von Meta hat, wer steht dann auf seiner Abschussliste? Deine Chancen auf den Posten sind nicht schlecht. Mag sein, aber bis dahin verhält sich die Pubertistin lieber ruhig.
Wir rufen wenigstens die Elternsprecherin an. Sie kennt das Lukas-Problem, denn ihr Sohn Hans steht auch auf der Liste von Lukas und seinen Privatschergen. Weil er töpfert, gute Zensuren hat und sich in der Kleinstadt Arm in Arm mit seiner Mutter gezeigt hat, haben die rohen Gesellen geschlussfolgert, dass Hans eine schwule Sau ist. Und das ist im Grunde noch widerlicher, als die dicke Meta zu sein. Nur um mal zu sehen, ob er sich wehrt, hat Lukas Hans’ Schulrucksack unten aufgeschnitten und herzlich gelacht, als alles herausfiel. Die Briefe von Hans’ Mutter an Lukas’ Eltern mit der Aufforderung,den Schaden zu ersetzen, blieben unbeantwortet – stattdessen hat Lukas Hans’ neuen Rucksack gleich mal mit rotem Edding beschmiert. Die Elternsprecherin und ich beschließen, alle interessierten Eltern zum Stammtisch einzuladen, auch und ausdrücklich die von Lukas. Wir müssen reden.
Eine Woche später treffen wir uns in der Pizzeria. Schnell stellt sich heraus, dass in allen Familien ähnliche Gespräche geführt werden wie unseres mit der Pubertistin.
Weitere Kostenlose Bücher