Die Puppe an der Decke
leisten. Gerade das ist ein Luxus, den Gott und die Welt sich gönnen können. Aber auf die Dauer wird es ein wenig langweilig. Komm jetzt mit!«
Als sie das Haus betraten, fühlte sie sich unwohl. Das Zimmer war so, wie sie es sich vorgestellt hatte. Kamin in der Ecke, niedriger Couchtisch, Blindrahmen und die Reihen von Gemälden an den Wänden. Eine Tür führte in das Zimmer, das zweifellos das Schlafzimmer war, eine weitere in die Küche, in der Licht brannte. Die Staffelei stand vor dem Fenster unter einem ausgeschalteten Scheinwerfer, sie wusste, dass dessen Licht kalt und hart sein würde. Ein fast vollendetes Bild zeigte einen Autounfall, von dem sie nicht mehr wusste, ob sie ihm davon erzählt hatte, er hatte die Szene von oben gemalt, aber sie erkannte das Auto mit den Toten auf der spiegelglatten Straße an der Westküste. Überall lagen Pinsel und Farbtuben herum, es roch herb nach Terpentin und vollen Aschenbechern. Ein Sessel stand vor dem Fenster, sicher saß er hier, wenn er die Decke betrachtete. Für einen Moment dachte sie, dass sie als Kind möglicherweise hierher eingeladen worden sei, aber das stimmte nicht, es war nicht richtig, sie war zum ersten Mal hier.
Sie hörte, wie er mit den Töpfen klapperte und den Gasherd anzündete.
»Im Schrank neben dem Kamin steht Rotwein. Und ich glaube, auch noch irgendein Sherry.«
»Ich trinke überhaupt nichts. Ich fahre nachher zurück.«
»Wie du willst. Hab ich mit dem Bild richtig getroffen?«
»Ja. Aber so ein Zusammenstoß riecht nicht nach Terpentin und Ölfarbe.«
»Das hast du schon gesagt. Und ich wusste es auch vorher schon.« Er trat in die Küchentür und zog seinen Pullover hoch. Ein weißer Streifen verlief diagonal über den flachen Bauch.
»Schalthebel. Ich saß zwei Stunden fest und wartete, während die anderen mit dem Schneidbrenner am Werk waren.«
Sie wandte sich wieder dem halbfertigen Bild zu. Es war ihr Wrack.
»So. Jetzt muss der Fisch ziehen. Und wir warten auf die Kartoffeln. Ist dir kalt? Soll ich im Kamin ein Feuer machen?«
»Mir ist nicht kalt. Aber mach das trotzdem. Ich schaue so gern in offenes Feuer.«
»Das tun alle. Das Feuer begleitet uns schließlich schon, seit wir aufrecht stehen können. Ich glaube verdammt nochmal, dass die Flamme eine Luke in eine andere Welt bedeutet. Erinnerst du dich an den Kragstadhof am Markt? Ich war da, als er abgebrannt ist. Mein Vater ist mit mir hingegangen. Das werde ich nie vergessen. Ich glaube, der Anblick hat mich in eine Art Trance versetzt. Als die Flammen wuchsen und das Dröhnen sich immer noch steigerte, glaubte ich alles zu sehen, was im Haus passiert war, ich hörte Bruchstücke von Gesprächen, ich hörte Lachen und Weinen. Noch Tage später war ich nicht ganz da, und meine Gesichtshaut war straff und wund von der Hitze. Mein Vater wurde reichlich zusammengestaucht, weil er mich nicht in sicherer Entfernung gehalten hatte. Aber er war ein kluger Mann. Er machte nicht einmal einen Versuch, sich zu entschuldigen oder irgendetwas zu erklären. Ich glaube, er hatte das Fieber in meinem Blick gesehen. Gott weiß, vielleicht war es ihm ja auch so gegangen.«
Sie zog eine Zigarette aus seiner Packung und gab sich Feuer. »Eine Art Erkenntnis?«
Er drehte sich halbwegs zu ihr hin. Das Licht der Flammen tanzte über sein Gesicht, sie konnte sehen, dass er schwitzte. »Nicht Erkenntnis. Nur Gefühl. Und mehr brauche ich auch nicht. Ich habe eine Reihe von Jahren mit den Anthroposophen gespielt. Ich habe eine tiefe Abscheu vor dem Versuch entwickelt, das menschliche Gemüt mit dem Skalpell zu sezieren. Ich habe den Kern mitgenommen und mir andere Freunde gesucht, genauer gesagt, das habe ich nicht, ich habe gelernt, mit mir selber zu leben.«
Sie ging zum Fenster, blieb dort stehen und inhalierte die fremde Zigarette. »Den Kern?«
Er wischte Staub und Sägemehl von seinen Knien.
»Stell dich nicht dümmer, als du bist. Christus. Golgatha. Und jetzt wollen wir doch mal sehen, ob vier Kilo Fisch und zwanzig Kartoffeln zwei Menschen speisen können.«
»Ich kann den Tisch decken.«
»Nein, das kannst du nicht, meine Liebe. Du kannst dagegen da stehen bleiben, wo du stehst, und noch zwei Zigaretten rauchen. Lehn dich einfach an den Fensterrahmen, rauch und glotz aufs Meer. Das ist ein schönes Bild. Ich finde es beruhigend.«
Aus dem Nachtbuch:
Aber ich stand nicht am Fenster, und ich rauchte auch nicht. Ich stand in der Haustür und hinter mir wogte der Sommertag;
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