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Die Puppe an der Decke

Die Puppe an der Decke

Titel: Die Puppe an der Decke Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ingvar Ambjörnsen
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Finger, was ist das denn? Geschenke, jetzt mach aber mal einen Punkt! Es duftete nach Räucherkerzen und gebratenem Truthahn.
    »Danke, das ist schrecklich nett von euch!«
    Er hängte ihren Mantel auf. »Wenn du nicht so stur wärst, dann würdest du auch zu Heiligabend vorbeischauen. Dann sind wir doch allein.«
    Nina rief aus der Küche: »Kannst du dir das nicht noch einmal anders überlegen, Rebekka? Was hat es denn für einen Sinn, dass du allein in dem großen Haus sitzt! Komm jetzt her und trink einen Grog!«
    Weihnachtskerzen vor den beschlagenen Fenstern. Sie setzte sich an den Küchentisch und Niels Petter schenkte Grog ein. »Sei vorsichtig, ich habe am Sechzigprozentigen nicht gespart!«
    »Nein, tausend Dank, aber ich finde, den Heiligen Abend sollt ihr unter euch verbringen. Das ist ein Familienfest.« Sie nippte an dem heißen Grog.
    »Was für ein altmodischer Unsinn«, lachte Niels Petter. »Du kommst zu uns, und damit basta.«
    »Aber, aber«, sagte Nina. »Es wäre doch möglich …«
    »Nein, keine Angst«, sagte Rebekka. »Ich bin doch gegangen. Ich werde nicht sentimental.«
    »Ja, ja«, sagte Niels Petter. »Du hast ja noch ein paar Tage Zeit. Komm her, wenn du Lust hast. Wo Arne und Magnhild nur bleiben?«
    Nina setzte sich ebenfalls an den Tisch. »Du kennst sie doch. Wenn du sie für acht Uhr einlädst, dann machen sie sich um acht Uhr auf den Weg. Ich habe sie nie anders erlebt. Das macht ja nichts. Der Vogel braucht noch eine halbe Stunde. Mindestens.«
    »Es riecht wunderbar«, sagte Rebekka.
    »Niels Petter ist hier der Koch im Haus«, sagte Nina.
    »Er ist für Füllung und Zubehör zuständig. Ich darf höchstens die Temperatur kontrollieren.«
    Was sie vor allem freute, als sie das Festmahl verzehrten und dem Wein zusprachen, war, wie wenig es sie kostete, in dieses Sinnlose hineinzugleiten. Am Alltagsgeplauder mit einer Selbstverständlichkeit teilzunehmen, die in keiner Hinsicht verdächtig wirken konnte, da sie eben ganz natürlich war. Arne und Magnhild Malmstrøm waren solide Mittelklassemenschen wie sie, sie pfiff darauf, was sie machten, stellte aber automatisch Fragen nach den Zuständen auf Bohrinseln in der Nordsee und dem Innenleben der Gemeindeverwaltung. Mehr und mehr kam sie sich vor wie Siri Ljoen, mit vierzig Jahren Schuldienst im Rücken, sie kam sich älter vor als alle anderen am Tisch, es schien nicht nur Nina zu sein, zu der sie einen altersmäßigen Vorsprung hatte. Ihr fiel auf, dass Arnes und Magnhilds Blicke immer wieder an Niels Petters geschundener Hand hafteten, aber dieses Thema wurde nicht zur Sprache gebracht, es lag den ganzen Abend wie eine Eiterbeule da, eine Beule, auf die niemand zu drücken wagte, sie dachte, dass das nur gut sei, jetzt bringt um Gottes willen noch mehr Drecksgerede. Bald ist Weihnachten, bald wird uns ein Erlöser geboren, alles klar also.
    Um Punkt Viertel nach zehn schellte das Telefon in der Diele. Niels Petter und Nina tauschten einen Blick, das sah nur Rebekka, nur sie hatte nach diesem Blick Ausschau gehalten, Niels Petter stellte sein Weinglas hin und lief zum Apparat. Gleich darauf war er wieder da, mit roten Flecken im Gesicht und hektischen Bewegungen. Nina fragte ihn wortlos, ob er den Stecker herausgezogen habe, er ignorierte sie und öffnete eine weitere Weinflasche.
    Aus dem Nachtbuch:
    Jetzt habe ich ihm den kleinen Finger gereicht, den ich nicht habe. Jetzt kann er mit mir machen, was er will. Und dabei empfinde ich eine tiefe Erleichterung. Denn er hat angerufen und kein Wort gesagt, so, wie ich ihn gebeten hatte. Ich saß im Wohnzimmer und aß Puter und trank Wein, als Das Böse sich meldete. Ich gehöre jetzt zu ihnen. Zum engsten Kreis. Ninas ältere Freundin. Tante »Ekka«. Ich bin diejenige, die sich um Niels Petters zerstörte Hand Sorgen macht. Immer wieder sage ich: Das dürft ihr euch nicht gefallen lassen! Das dürft ihr euch nicht gefallen lassen!

16
    Sie zog den leuchtend weißen Kittel an. Streifte die Stiefel ab und stieg in die viel zu großen Gummistiefel. Leo schaute aus den Augenwinkeln zu ihr herüber und legte einen Film in die Kamera ein.
    »Du bist schön«, sagte er. »Aber darauf bist du im Laufe der Jahre sicher schon aufmerksam gemacht worden?«
    Sie gab keine Antwort. Sie folgte seinem weißen Rücken ins Kühllager.
    Dort war es kälter, als sie erwartet hatte. Sie war froh, dass er sie dazu überredet hatte, unter dem Kittel den Pullover anzubehalten. Die Schweinekadaver hingen in

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