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Die Puppe an der Decke

Die Puppe an der Decke

Titel: Die Puppe an der Decke Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ingvar Ambjörnsen
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das Pferd geholt wurde. Das Tier ließ sich brav in die Schlachtkammer führen, wo fast sofort der Schuss fiel. Danach gingen sie auf den Hinterhof. Leo zündete zwei Zigaretten an und gab ihr eine.
    »Die Tiere sind Ablagerungen des Wesens, das wir alle waren, ehe wir als Menschen in die Welt treten konnten. Das habe ich irgendwo gelesen, vielleicht habe ich es auch geträumt. Dass jede Tierart sozusagen Eigenschaften geopfert hat, die dann Körper und Geist der Menschen zugute gekommen sind.« Er nickte zur Schlachthalle hinüber. »Weißt du, was wir dem Pferd verdanken?«
    »Ich glaube, ich könnte nur raten.«
    »Den Intellekt.« Er zog hart an seiner Zigarette. »So etwas Wahnwitziges kann ich doch nicht geträumt haben.«
    »Gehen wir wieder rein«, sagte sie. »Dann können wir sehen, was wir dem Pferd zurückgeben.«
    Leo fotografierte sich quer durch die Räume. Dem Pferd war bereits das Fell abgezogen worden.
    Auf der Rückfahrt in die Stadt sagte Leo: »Ich muss für zwei Tage nach Oslo. Soll ich irgendwas mitbringen? Am 23. bin ich wieder da.«
    Sie schüttelte den Kopf. »Nein. Ich habe alles, was ich brauche.«
    »Er hat eine Schwester«, sagte er. »Weißt du das?«
    »Wer hat eine Schwester?«
    »Niels Petter Holand. Er hat eine Schwester, die bei einer Versicherung arbeitet.«
    »Das weiß ich. Ich glaube aber, sie reden nicht oft miteinander.«
    »Warum nicht?«
    Rebekka zuckte die Achseln. »Das interessiert mich nun wirklich nicht.«
    »Bald ist Weihnachten. Die Zeit der Versöhnung. Er hat doch immerhin einen kleinen Sohn, dessen Tante sie ist. Solche Dinge ändern die Menschen! Ich habe Lust auf ein Glas Wein. Komm, wir schauen mal beim Fønix vorbei. Wir können uns ja einbilden, dass wir etwas zu feiern haben. Etwas. Irgendwas, scheißegal, was.«
    Im Fønix war viel los. Alle Tische waren besetzt, aber sie konnten sich am Tresen niederlassen. Sie baten um Wein und erhielten ihn, der Barmann sagte: »Herrgott, was stellst du für einen ekelhaften Kram aus, Leo! Jetzt finde ich wirklich, dass du dich selbst übertriffst. Ich habe seit Donnerstag nur noch Möhren und rohe Kartoffeln runterbringen können!« Er zwinkerte Rebekka zu. »Ja, da hast du dir einen tollen Kavalier angelacht!«
    Leo lachte. »Warst du gern ein Kind, Rolf?«
    »Du meine Güte, was ist das denn für eine Frage? Ich hoffe wirklich, du willst uns hier nicht tiefsinnig werden! Solchen Quatsch bekomme ich normalerweise erst nach elf aufgetischt. Lass die Kindheit in Ruhe, mein Lieber. Und benimm dich wie ein Erwachsener. Ich sage es dir nicht zum ersten Mal: ich sitze dir gern, wenn dich das auf andere Gedanken bringen kann. Lasst euch den Wein schmecken!«
    Er entfernte sich.
    Rebekka hob vorsichtig das Glas an den Mund und trank. Es war ein guter Rotwein. »Das habe ich mir eigentlich noch nie überlegt. Ob ich gern ein Kind war. Ich habe alles so genommen, wie es gekommen ist. Damals wie heute.«
    Er schüttelte den Kopf. »Es war ein chronisches Gefühl der Ohnmacht. Geleitet zu werden. Ich musste einfach die Zähne zusammenbeißen und die Kindheit hinter mich bringen. Die Jahre waren wie Ewigkeiten. Zwischen fünfzehn und achtzehn habe ich eine Art Countdown geführt. Ich bin an meinem achtzehnten Geburtstag von Zuhause ausgezogen. Wie oft ich vorher schon durchgebrannt war, weiß ich nicht. Und das nicht, weil meine Eltern so schrecklich gewesen wären. Im Gegenteil, stelle ich mir vor. Ich war ein Einzelkind und vermutlich ziemlich verwöhnt. Vielleicht war das der Grund.«
    »Und was hat das mit deinen Bildern zu tun?«
    »Nichts, nehme ich an. Ich sage nur, was mir gerade einfällt. Ich glaube, dass Rolf ein harmonisches Kind war. Und etwas an seiner Sicherheit provoziert mich.«
    Sie dachte: Ich war ein ruhiges Kind. Ich hatte es gut. Die Unsicherheit kam erst später. Ich musste ein ruhiges Kind sein, ich hatte ja eine Hysterikerin zur Schwester. Das war kein Opfer. Das hat sich ganz von selbst ergeben.
    »Mein Vater hatte eine sympathische Art, mich zu bestrafen«, sagte Leo jetzt. »Das werde ich nie vergessen. Er schloss mich in den stockfinsteren Kohlenkeller ein. Aber er kam immer mit, ich wurde nie allein eingeschlossen. Reden war streng verboten. Wir saßen jeder auf seiner Treppenstufe und schauten in die Dunkelheit, bis die Strafe abgesessen war. Es konnte Stunden dauern. Ich sah da unten in der Dunkelheit Bilder vor mir. Ich glaube, so hat alles angefangen.«
    »Du hast geplant, einen Hund mit einem

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