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Die Puppe an der Decke

Die Puppe an der Decke

Titel: Die Puppe an der Decke Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ingvar Ambjörnsen
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gesehen, hast du schon mal solchen Unfug gesehen, und dann war er tot, noch ehe der Großvater über den Zaun gestiegen war.
    Sie erwachte. Es war noch dunkel, die selbstleuchtenden Zeiger eines Weckers, der auf dem Boden stand, zeigte zwanzig nach sechs. Sie lag in einem fremden Bett, ihr Unterbewusstsein stand für sie Wache, so war es immer schon gewesen; ein Geräusch hatte sie geweckt. Stille. Dann Schritte über den Wohnzimmerboden, sie sah durch den Türspalt das blaue Licht des Fernsehers, dann wurde der Apparat ausgeschaltet. Er schob vorsichtig die Tür auf, sie ahnte ihn eher, als dass sie ihn sah.
    Er fragte: »Schläfst du?«
    »Ja«, sagte sie. »Das ist sicher ein Traum.«
    Er setzte sich auf die Bettkante. Sie streckte die Hand nach ihm aus, sie spürte, wie der feine Schnee auf dem dicken Mantelstoff schmolz.
    »Ich bin total kaputt«, sagte er. »So restlos und verdammt kaputt.«
    Sie streichelte seinen Rücken. »Ich dachte, du wolltest übers Wochenende wegbleiben.«
    Er ließ sich zurücksinken, schräg über ihre Hüften, und lehnte seinen Oberkörper gegen die Wand. Er suchte in seinen Taschen nach Zigaretten und Feuer, steckte zwei Zigaretten an und reichte ihr die eine. »Was machst du denn eigentlich?«, fragte er.
    Sie gab keine Antwort.
    Sie rauchten und schnippten die Asche auf den Boden.
    »Die Sache ist schief gelaufen«, sagte er. »Total in den Teich gegangen. Sie hatten sich nämlich eine ganz andere Ausstellung vorgestellt.«
    »Obwohl sie sie gesehen hatten?«
    »Vermutlich weil sie sie gesehen hatten. Du musst den ganzen Winter hier unten wohnen, um zu begreifen, wie sie denken. Ich war durchaus nicht überrascht.«
    »Und auch nicht enttäuscht?«
    »Nein, gar nicht. Enttäuschungen gehören in die Jugend.« Er lachte. »Herrgott, Rebekka, ich kann doch nicht enttäuscht sein, bloß weil es in Langesund keine Ausstellung gibt! Wenn ich so empfindlich wäre, dann hätte ich mich schon vor einem halben Leben aufgehängt. Hast du die ganze Flasche ausgetrunken?«
    »Ich weiß nicht. Aber ich kann es mir nicht vorstellen.«
    Er nahm ihre Kippe mit und ging ins Wohnzimmer.
    »Möchtest du?«
    »Nein, erst wieder in vielen Jahren. Ich bin nicht an Schnaps gewöhnt. In meinem Kopf hat sich alles gedreht.«
    Er kam mit der Flasche und einem Aschenbecher zurück. Er zog seinen Mantel aus und setzte sich wieder.
    »Tut mir Leid«, sagte sie. »Das war nur so ein Einfall. Ich bin hergekommen, um Luft zu schnappen, in meinem Haus konnte ich plötzlich nicht mehr atmen, und dann bin ich hier gelandet.«
    Er trank aus der Flasche. »Das macht ja wohl nichts.«
    »Doch, tut es wohl. Ich wäre sauer, wenn es umgekehrt gewesen wäre.«
    »Reg dich ab«, sagte er. »Es ist ja nicht umgekehrt.«
    »Ich gehe jetzt«, sagte sie und setzte sich auf.
    »Nein«, sagte er. »Du wirst erst in vielen Stunden wieder nüchtern sein. Du kannst frühestens heute Nachmittag wieder fahren.«
    »Da hast du Recht«, sagte sie. »Ich muss schlafen. Du musst auch schlafen.« Sie zog sich den Pullover aus und streifte ihre Hose ab. »Komm.«
    Er stellte die Flasche auf den Boden und zog sich aus. Sie schmiegte sich an ihn, er roch wie sein Bettzeug, nach Tabak und Schweiß, sie kostete ihn mit der Zunge, Salz, doch als sie die Hand unter seinen Bauch hinstreckte, lag er tot unter ihr.
    »Das bringt nichts, Rebekka.«
    »Auch nicht mit den Videos?«
    Er drehte sie um und legte den Arm um sie. »Du hast keine Ahnung.«
    Sie lag ganz still und horchte auf seinen Atem. Sie hatte keine Ahnung.
    »Am Samstag musst du mir einen Gefallen tun«, flüsterte sie. »Machst du das?«
    Er gab keine Antwort. Er schlief.
    »Ja«, sagte sie. »Natürlich mach ich das.«

15
    Irgendwann war ihr das Gefühl gekommen, dass sie beobachtet wurde. Dass jemand hinter ihr im Zimmer stand. Oder am Kamin saß und auf sie wartete, wenn sie nach Hause kam. Das störte sie nicht weiter, es war ihr auch früher schon so gegangen. Eines Abends hatte sie Siri Ljoens scharfen Blick vor sich gesehen, so, wie sie ihn aus einem Sommer in ihrer Jugend in Erinnerung hatte. Die fast schwarzen Augen der Freundin ihrer Großmutter. Sie hatten sie mit einer gewissen Verachtung gemustert. Sicher hatte es an Rebekkas Kleidung, ihrer Frisur oder ihrer Schminke gelegen. Ihr war das egal gewesen. Sie hatte gedacht: die ist fast tot. Und jetzt, nach so vielen Jahren, war ihr ein blaues Kleid eingefallen, das die Großmutter von der Freundin geerbt hatte, ein

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