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Die Puppe an der Decke

Die Puppe an der Decke

Titel: Die Puppe an der Decke Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ingvar Ambjörnsen
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Bajonett zu erstechen«, sagte sie.
    »Ja«, sagte er. »Das habe ich. Zusammen mit vielem anderen. Später habe ich bewusst gegen die Regeln verstoßen, um mit meinem Vater da unten sitzen zu können. Ich glaube, das wusste er. Ich glaube, er brauchte diese Stunden selbst auch. Ich bin keinem anderen Menschen je so nahe gewesen. Aber es hatte nichts mit Geborgenheit zu tun. Mit gefiel es, weil es so durch und durch disharmonisch war. Der Keller wurde zu einer Art Atemraum, einem Ort, wo ich meine Instrumente stimmen konnte. Mein Vater war ein kluger Mann. Daran habe ich nie gezweifelt.«
    Während er das sagte, schaute er aus dem Fenster. Es regnete, sie dachte, jetzt verschwindet der Schnee, wir bekommen schwarze Weihnachten. Sie sah im Lichtkegel der Straßenlaterne auf der anderen Straßenseite Nina.
    »Du musst jetzt gehen«, sagte sie. »Nina … ich glaube, sie kommt her. Ich will nicht …«
    »Pst!«
    Er trank sein Glas aus und stellte es hinter den Tresen. Dann war er verschwunden.
    Sie blieb sitzen und wartete, aber Nina kam nicht.
    Vermutlich saß sie bei ihrem Kind zu Hause.
    Nach sechs Glas Wein ging sie hinaus und setzte sich ins Auto. Der Fuß, den sie sich jetzt immer häufiger bei Siri Ljoen auslieh, tat weh.

17
    Siri Ljoen hatte keine Wahl. Im Grunde hatte sie keine Wahl. Rebekka sah sie im Haus am Meer sitzen, mit dem Wissen, dass im Kühlschrank der Gemeinschaft ein verfaultes Stück Fleisch lag. So etwas durfte man nicht verschweigen. Das hatte nichts mit Klatsch zu tun. Es war ihre Pflicht als Bürgerin, sich zu Wort zu melden.
    Ich wusste nicht, was ich tun sollte. Ich bat Gott um einen Rat. Egal, wofür ich mich auch entschied, es würde das Falsche sein. Ich musste zwischen Lösungen wählen, die allesamt ein Fehlschlag waren. Trotzdem gab es im Chaos eine Moral. Kinder müssen vor dem Irrsinn der Erwachsenen beschützt werden. So ist das einfach.
    Ich heiße Siri Ljoen. Ich habe fast vierzig Jahre im norwegischen Schuldienst gearbeitet. Ich habe Knollen in den Boden gesteckt und Keime wachsen und zur vollen Blüte gelangen sehen. Oder um mich nüchterner auszudrücken: ich habe Kinder ins Erwachsenenleben begleitet. Das war meine Aufgabe. Eine Aufgabe, die ich ernst genommen habe. Und deshalb kann ich mein Wissen nicht verschweigen. Deshalb schreibe ich Ihnen diesen Brief. Zwei kleine Jungen wurden zerstört. Sie waren meine Schüler. Es geschah im Norden. Irgendwo im Norden. Es ist jetzt fast fünfzehn Jahre her. Aber der Mann, der die Untat begangen hat, ist derselbe. Jetzt ist er hier.
    Mit lauter, schriller Stimme, einer Stimme, die ihr wirklich nicht wenig Angst machte, wanderte Rebekka im nachtstillen Haus von Zimmer zu Zimmer und trug Siri Ljoens Anliegen vor. Vor ihrem inneren Auge erschien der kleine Ort oben an der Küste von Finnmark, Dunkelheit, Seewind, Schneetreiben. Die Tankstelle an der Straßenkreuzung. Die Kirche. Die Schule. Hier und da auf der weißen Fläche zwischen den schwarzen Bergen und dem schwarzen Fjord verstreute Häuser. Die Kinder, die sechzehn Kinder, die jeden Tag durch den Ort kamen, zu Fuß oder mit einem Tretschlitten, sechs brachte der Schulbus aus dem Nachbardorf, über die Berge, ja, sie schafften es jeden Tag von Neuem, zum Schulhaus zu gelangen, und zeigten ihr, zeigten Siri Ljoen ihre Zuneigung und ihr Vertrauen. Es war ihr wichtig, das klarzustellen, ja, es ihrem Publikum, das sie in den Ecken wahrnahm, einzuhämmern, dass es mehr bedeutet, an einem solchen Ort Lehrerin zu sein, als diesen Beruf in irgendeiner großen Schule mitten in Ostnorwegen auszuüben. Hier oben wird es zu einem Lebensstil, einer Art zu leben, und man gibt diese Arbeit nur auf, wenn man stirbt oder nach Süden umzieht. Hier oben bist du es immer, und die Kinder werden zu den eigenen. Man merkt, wenn etwas nicht stimmt. Wenn etwas nicht seine Richtigkeit hat.
    Sie blieb ganz still stehen, ließ die Arme hängen und legte den Kopf schräg. Am Rand ihres Blickfeldes ahnte sie den Schatten der Puppe, oder war es die Puppe selbst, ihr Arm? Sie stand wie auf einer Rednertribüne, in beredtem Schweigen, sie wartete darauf, die Schlusspointe anzubringen, den Applaus entgegenzunehmen oder vielleicht das empörte Geschrei der Bevölkerung von Nybyen zu hören, wenn Niels Petter Holands Namen unwiderruflich explodiert und wie ein mieses Graffito an die Wände geschmiert wird.
    Aus dem Nachtbuch:
    Ich werde mich nicht geschlagen geben. Ich habe beschlossen, mich niemals geschlagen zu

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