Die Puppe an der Decke
geben. Ich will mit Leo auf der Kellertreppe sitzen und in die Dunkelheit starren, während ich den Mord an einem Hund plane. Ich ersteche ihn nicht, o nein, das ginge mir zu schnell. Ich zupfe ihm vorsichtig das Fleisch von den Knochen. Ich enthülle das Skelett, den Kern. Aber jetzt muss ich mich dämpfen. In der Nacht bin ich schreiend hin und her gelaufen, obwohl es schon nach halb zwei war. Zu meinem Erstaunen merkte ich, dass ich mir ein Publikum wünschte, ein vollbesetztes Gebetshaus, zum Beispiel, ja, einen Ort, an dem vom Herrn die Rede ist, am besten vom Gott des Alten Testamentes. Von dem, der straft und der Gebote in Stein meißelt.
Leo wollte nicht, dass ich das sah, das ist mir aufgefallen, aber er war an diesem Tag nicht mit Schweinegedärm beschäftigt. Und auch nicht mit dem Pferd. Weder in lebendem noch in totem Zustand. Ihn interessierte der Junge mit dem Schrubber. Der die Böden von Blut und Resten befreite. Der den ganzen Dreck in den Abfluss schaufelte und später mit kochendem Wasser nachspülte. Der niemals fertig werden konnte, weil immer neues Blut kam, als heftiges Spritzen und als stilles Tropfen. Für diesen Jungen interessierte Leo sich dort draußen. Für einen Jungen mit einem Schrubber und einem Hochdruckschlauch.
Wer bin ich, die nicht vergeben kann? Die nicht vergeben will? Ich bin die, die den schmalsten Weg geht. Den schwierigsten. Denn nichts ist leichter, als abzubiegen und die Schuld des anderen zu streichen.
Sie konnte nicht schlafen. Das störte sie nicht. Sie döste vor sich hin, und wenn sie die Augen öffnete und einen Blick auf die Uhr warf, ragte die Dunkelheit noch immer zuverlässig im Zimmer auf. Halb im Traum, halb in Gedanken sieht sie Siri Ljoen, die die Tür zuzieht und abschließt. Es ist dunkel und schneidend kalt, und sie schleppt ihren wehen Fuß hinter sich her. Unten in der Fischfabrik wird schon gearbeitet, das blauweiße Licht zerschneidet die Winternacht. Es schneit, aber der Wind, der ewige Wind, ist anderswo. Sie geht an den Schneewehen vorbei, sie kann die Bambusstäbe, die in Schulterhöhe aus der gefrorenen weißen Masse herausragen, kaum sehen. Sie denkt an Georg. Daran, dass sie an diesem Tag mit Georg sprechen muss.
Stimmt etwas nicht, Georg? Du siehst so traurig aus.
Er schüttelt den Kopf und schaut in die Dunkelheit hinaus, in der seine Klassenkameraden spielen. Es ist gerade große Pause.
Du weißt, dass du mir alles sagen kannst. Wenn also etwas sein sollte …
Nein, alles in Ordnung.
Über zwei Wochen vergehen, bis dann nicht mehr alles in Ordnung ist.
Sie schluckt. Sie versucht ihre Tränen zurückzuhalten, aber das hilft nichts. Er wird vor ihren Augen zerrissen, und alles fällt in ihren Schoß.
Rebekka steht gegen sechs Uhr auf und schreibt den langen Brief, ohne auch nur einmal abzusetzen. Dann trinkt sie eine ganze Flasche Wein, taumelt zurück ins Bett und schläft ein.
18
Nina Granum strich ihre Haare hinter das rechte Ohr und blies auf ihren glühend heißen Kaffee. Rebekka zerkrümelte auf ihrem Teller ein Stück Sandkuchen und betrachtete das gemeinsame Spiegelbild in der neu eingesetzten Fensterscheibe. Zwei Frauen an einem Küchentisch, die Schweinerippe im Ofen, im Raum der schwere Geruch von mit Kümmel gekochtem Kohl. Aus dem Wohnzimmer war Walt Disneys Weihnachts-potpourri zu hören, dort unterhielt Donald Duck die Herren des Hauses. Heiliger Abend im Stjernesti.
Nina sagte: »Ich freue mich so über deinen Besuch. Ich bin nicht daran gewöhnt … zu Hause waren wir zu Weihnachten immer ganz viele.«
Sie hatten eine Vogelgarbe vor das Fenster gehängt. Dort draußen hatte in derselben Dunkelheit wie jetzt jemand gestanden, mit einem Stein in der Hand.
»Ruft er noch immer an? Dieser Verrückte?«
»Nein. In letzter Zeit war Ruhe. Es klingt vielleicht verrückt, aber auch das macht mich irgendwie unsicher. Es kommt mir vor, als ob er den Atem anhält. Als ob er bald ganz gewaltig nach Luft schnappen muss.«
»Das glaube ich nicht«, sagte Rebekka. »Ich habe so was auch schon erlebt. Es ging einige Monate so, und dann war Schluss.«
»Das hast du erlebt? Hier?«
»Nein, nein. Es ist viele Jahre her. Die Kinder waren noch klein. Das Seltsame war, dass er immer anrief, wenn mein Mann nicht im Haus war. Wenn ich mit den Kindern allein war. Er schien genau zu wissen, wann Konrad kam und ging. Ich dachte, es sei vielleicht ein Nachbar, wir hatten damals kaum Kontakt mit der Nachbarschaft.«
»Er?«
»Ja, er
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