Die Puppe: Psychothriller (German Edition)
braucht sie nicht. Sie weiß, was Jacqui sagen wird.
Sie schaut auf die Uhr. Schlafen wird sie nicht mehr. Sie muss sich auf den Tag einlassen.
Sie rollt sich vom Sofa, zieht ihre Joggingsachen an und geht im Dunkeln auf ihren Morgenlauf, geleitet von der Stirnlampe und ihrem Gedächtnis. Alles ist mit Reif bedeckt, und die Bäume recken ihre dürren Finger durch die weiße Schicht. Sie sieht niemanden – kein Auto kommt vorbei, und kein Licht brennt in den wenigen Häusern, an denen sie auf ihrem Sechs-Meilen-Rundkurs vorbeikommt. Die Stadt Bath liegt am Fuße der Anhöhe, eine halbe Meile weit rechts von ihr – aber dort regt sich noch nichts. Man erkennt sie nur an dem orangegelben Lichtschimmer im Dunst.
Zu Hause duscht sie, wäscht sich die Haare und zieht die Thermounterwäsche an – bereit zu einem neuen Tag draußen. Als sie den Hosenbund schließt, spürt sie, dass ihr Bauch sich irgendwie schlaff anfühlt – als wollten die Muskeln die Eingeweide herauslassen. Einen Moment lang steht sie im Bad, drückt die Hände auf den Leib und wundert sich.
Ihr Blick geht in den Korridor, zu all den Kisten, die dort stehen. Sie sind so sauber und ordentlich, so gut verpackt und verschlossen. Sie hat ewig gebraucht, um das alles einzupacken. Fuck , fuck und noch mal fuck .
Sie zieht die Fleecejacke über, steigt in die Stiefel und geht noch einmal ins Bad, um sich die Zähne zu putzen. Während sie sich die Haare bürstet, legt sie eine Hand an den Spiegel und senkt den Blick auf den Abfluss. Sie will ihr Spiegelbild nicht sehen. Darauf kann sie verzichten.
Old Man Atheys Obstgarten
Zum Teufel mit Stewart und seinen Albernheiten. Er ist immer noch besessen von dem, was da anscheinend im Wald war, und als AJ ihn am Morgen von der Leine lässt, läuft er schnurgerade über das Feld und hat sich unter den Büschen hindurch und über den Zauntritt geschlängelt, bevor AJ es verhindern kann.
AJ bleibt stehen und flucht leise. Er ist müde. Er hat kaum geschlafen. Melanie ist irgendwann zur Ruhe gekommen und eingeschlafen, zusammengerollt wie ein Kind in seinem Arm, aber er hat wachgelegen und die Schatten an der Decke beobachtet, und seine Gedanken haben sich endlos im Kreis gedreht. Wenn er kurz mal eingenickt ist, war er bald wieder wach. Ihre Anwesenheit drang in sein Bewusstsein – als öffneten ihre Träume und ihr angeschlagenes Vertrauen zu ihm eine Schleuse zu seinen eigenen Alpträumen.
Schließlich hat er aufgegeben. Es ist halb sieben und immer noch dunkel. Er hat frisch gekochten Kaffee auf Patiences und Melanies Nachttische gestellt und ist mit Stewart nach draußen gegangen. Stewart kann anscheinend nur noch winseln und ihm klägliche Blicke zuwerfen, und jetzt ist er einfach abgehauen.
Das Licht, das aus dem Küchenfenster fällt, reicht nicht aus, um ihm zu folgen. AJ geht in die Garage und holt eine Lampe – ein riesiges Ding, das das Wild verscheucht –, und dann geht er hinter dem Hund her. Er findet ihn ungefähr zwanzig Meter weit hinter dem Waldrand. Seine Zunge hängt heraus, und er wedelt eifrig mit dem Schwanz, als er sieht, dass AJ ihm folgt.
»Stewart«, zischt AJ, »du nervst total. Geh mir nicht auf den Keks, ich habe im Moment schon genug um die Ohren.«
Aber Stewarts Blick ist so voll von Hoffnung und Vertrauen, dass AJ seufzen muss. Auch wenn seine Maxime lautet: »Was ich nicht weiß, macht mich nicht heiß« – seinem Hund und dieser emotionalen Erpressung ist er nicht länger gewachsen.
»Also los«, sagt er. »Wir haben genau dreißig Minuten – fünfzehn hin, fünfzehn zurück. Wollen mal sehen, was dieses ganze Theater bedeutet.«
Sie gehen durch den Wald und an der anderen Seite wieder hinaus, über ein Feld und hinauf zu dem Plateau. Er weiß nicht genau, welchen Windungen der Weg folgt, aber er weiß, wo er am Ende wahrscheinlich hinführt. An einen Ort, über den er nicht nachdenken möchte. Der Hund ist außer sich vor Aufregung. Er läuft mit hoch erhobenem Schwanz voran und tut, als wäre er ein geschmeidiger, hochgezüchteter Jagdhund. AJ folgt ihm mit kurzem Abstand und knurrt bei jedem Schritt. Die Felder liegen im Dunkeln, der gefrorene Boden knirscht unter seinen Füßen. Er friert an der Nase und bereut, dass er keine Handschuhe angezogen hat – seine Hände sind zwei Eisbrocken.
»Ich rate dir, du hast da was Gutes«, ruft er Stewart zu, der oben am Weg auf ihn wartet. Der Hund schaut zu ihm zurück und wedelt wie verrückt mit dem Schwanz. »Noch
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