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Die Puppe: Psychothriller (German Edition)

Die Puppe: Psychothriller (German Edition)

Titel: Die Puppe: Psychothriller (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mo Hayder
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fünf Minuten, dann kehren wir um.«
    Stewart hat ihn über das Plateau und auf der anderen Seite wieder hinuntergeführt, am Rand des immergrünen Nadelwaldes entlang. Im Dorf auf der anderen Seite des Tals gehen die ersten Lichter an. Die Frühaufsteher wachen allmählich auf. Old Man Atheys Apfelgarten, wo AJ immer die Kingston Blacks klaut, liegt auf der linken Seite, ein kegelförmiges Grundstück, dessen Spitze in den Wald hineinreicht. Das Gelände vor ihm heißt in der Gegend nur The Wilds, weil anscheinend niemand weiß, wem es gehört. Es könnte Eigentum des National Trust sein. Oder es gehört irgendjemandem, der unter einem Sauerstoffzelt auf einer entlegenen griechischen Insel langsam vermodert. AJ weiß von Kindheit an, wo The Wilds liegt, aber er hat noch nie einen Fuß darauf gesetzt, soweit er sich erinnern kann. Die Upton Farm ist dahinter.
    Stewart bleibt so plötzlich stehen, dass AJ ihn beinahe anrempelt.
    »Hey, du Irrer. Was zum Teufel ist denn jetzt los?«
    Der Hund rührt sich nicht. Still und starr wie ein Stein steht er da, den Blick nach vorn gerichtet, und konzentriert sich mit jeder Faser auf den Weg vor ihnen. Die Morgendämmerung streicht weißlich über den Himmel, und das Licht, das heranschleicht, genügt jetzt, um ohne die Hilfe der Lampe einzelne Bäume zu unterscheiden. Der Weg führt in den Wald hinein, wird nach ungefähr fünfzehn Metern immer grauer und verschwindet dann im Dämmer.
    AJ ist ein Landkind, und nichts hier kann ihm Angst einjagen. Es gibt keinen Grund, weshalb sich plötzlich seine Nackenhaare sträuben. Er hält den Atem an und richtet alle seine Sinne auf das Waldstück vor ihm. Er ist nicht sicher, aber ihm ist, als habe er da etwas gesehen, das dunkler war als die Umgebung, eine Gestalt, die sich dort bewegt hat. Isaac Handel. AJ wird den Gedanken nicht los – die Gewissheit. Er bekommt eine Gänsehaut.
    Stewart winselt plötzlich und dreht sich halb um, als wolle er in die Richtung zurücklaufen, aus der sie gekommen sind. Als habe ihn das, was da im Wald ist, eingeschüchtert. Er läuft ein paar Meter weit an AJ vorbei und bleibt dann unentschlossen stehen. Fragend schaut er sich um, an AJ vorbei, in den Wald hinein.
    »Hallo?« AJ leuchtet mit der Lampe über den Weg. »Hallo?«
    Seine Stimme klingt dünn und hohl, und die Bäume verschlucken sie sofort. Er geht drei Schritte weiter.
    »Hallo?«, ruft er noch einmal. »Ich will Ihnen keine Angst machen, aber ich habe einen Hund dabei.«
    Stille. Nicht einmal das Knacken eines Zweiges. Er nimmt seinen ganzen Mut zusammen und macht noch ein paar zögernde Schritte. Sehen kann er nichts.
    »Isaac? Sind Sie das?«
    Stewart schleicht sich an seine Seite, ängstlich und auf leisen Sohlen, und drückt sein raues Fell fest an AJs Wade. Zusammen gehen sie weiter in den Wald hinein.
    Etwa fünf Meter vor ihnen, dort, wo der Weg im Dämmerlicht zu verschwinden schien, verbreitert er sich in Wirklichkeit ganz unerwartet zu einer Lichtung. AJ und Stewart bleiben an ihrem Rand stehen und schauen sich um. Fadenscheiniges Tageslicht sickert herein und findet die feinen Dunstwölkchen, die vom Waldboden aufsteigen, und ein paar Blätter, die kraftlos von den Bäumen fallen. Mitten auf der Lichtung steht etwas, das nur schwer zu beschreiben ist. Sogar AJ verschlägt es auf den ersten Blick die Sprache.
    Es ist ein Baum, aber der Stamm hat einen Durchmesser von drei Metern. Die dicken Äste senken sich, sieben oder acht Meter weit vom Stamm entfernt, von ihrem eigenen Gewicht niedergedrückt zu Boden, sodass es aussieht, als stütze der alte Baum sich mit den Ellenbogen auf die kalte Erde. Unter den gewölbten Ästen ist der Grund trocken und die Luft still und ruhig wie in einer Kathedrale. Und wo der Baum seine Ellenbogen aufstützt, hat er Wurzeln geschlagen und kriecht von der Mitte aus nach außen. Rings um ihn herum wächst ein äußerer Ring – ein magischer Kreis aus sieben Bäumen. Alle identisch, lauter Klone des alten Baums in der Mitte.
    Taxus baccata : Die nadeldünnen Blätter, die Rinde, die Samen und der Saft – alles ist tödlich. Die wandernde Eibe. Ein Baum, so alt wie die Zeit. Niederträchtig und lautlos und tödlich wie eine Schlange.
    AJ lässt seinen Atem entweichen. Nur ein Baum. Nichts, wovor man Angst haben muss. Hier ist überhaupt nichts. Er und Stewart bleiben noch einen Moment lang stehen und atmen ein und aus, ein und aus. Nein. Nichts.
    Trotzdem wird er nicht näher an das verdammte Ding

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