Die Puppe: Psychothriller (German Edition)
die konfuse kleine Episode mit dem Wodka etwas mit ihm zu tun? Alles, was AJ über Melanie zu wissen geglaubt hat, wirbelt wild durcheinander. Er hat keine Ahnung, was er von Jonathan Keay halten soll, doch seine Eifersucht auf ihn wird riesengroß.
Einer der Überwachungsmonitore lenkt ihn von diesen Gedanken ab. Er fragt sich, was ihn eigentlich veranlasst hat, hier herunterzukommen. Spekulationen über das Liebesleben der Mitarbeiter waren es sicher nicht. Irgendetwas wegen des Kameraüberwachungssystems in der Klinik hat ihn beschäftigt. Aber was war es noch?
Auf den Monitoren ist nichts zu sehen. Leere, stille Korridore. Der Kunstrasenplatz für die sportliche Betätigung. Der Kreuzungspunkt im Stielkorridor. Man sieht sogar den Security-Kontrollraum von hinten und oben: Da sitzen er und Big Lurch, und ihre Hinterköpfe ragen kaum über den unteren Bildrand.
Und dann geht ihm ein Licht auf. Er beugt sich ein kleines Stück weit vor und schaut die Bilder an, und er glaubt zu wissen, was es ist. Das, was ihm keine Ruhe gelassen hat, der Grund, weshalb das Wort »Wahnvorstellung« ihm immer so unzutreffend erschienen ist. Er bleibt, wo er ist, und starrt auf die Monitore, und seine Gedanken kreisen langsam umeinander. Der Geruch vorhin im Dienstzimmer – der verbrannte Fischgeruch des verschmorten Wasserkochers. Der Geruch in Moses’ Zimmer an jenem Morgen. Auch an dem Tag war im Gebäude etwas durchgebrannt.
»Hey«, sagt er langsam. »Diese Kameras da. Ihr speichert die Aufnahmen doch, oder?«
Big Lurch wirft ihm einen sarkastischen Blick zu. »Nein, die sind nur zur Dekoration. In langen dunklen Nächten lasse ich meine Pornos auf diesen Monitoren laufen. Selbstverständlich speichern wir sie, Mann. Ich meine – nur für zwei Wochen, aber wir speichern sie.«
»In der Nacht, als Zelda sich verletzt hat – als sie sich die Arme zerkratzt hat –, da habt ihr nichts aufgenommen wegen des Stromausfalls.«
»Ja.« Big Lurch nickt. »Ich hab doch gesagt, hier ist was Schräges im Gange. Die dauernden Stromausfälle und immer aus einem anderen Grund.«
»Und in der Nacht, als Zelda gestorben ist?«
»Ja, in der Nacht war es das Gleiche. Und die …« Er bricht ab, lässt seine Füße laut vom Tisch auf den Boden fallen und dreht sich mit seinem Stuhl zu AJ herum. »Weißt du was? Du hast recht. Jedes Mal hat es einen Stromausfall gegeben.«
Das Geheimnis beim Fliegen
Fartlek ist Schwedisch und bedeutet »Geschwindigkeitsspiel«. Es ist eine Trainingsmethode, die dazu gedacht ist, durch Tempowechsel die Kondition zu verbessern. Man kann sie individuell anpassen, und deshalb ist sie ideal für jeden, der nach einer langen Trainingspause wieder fit werden möchte.
Der Fußballplatz hinter der Einsatzzentrale der Avon and Somerset Police hat einen eigenen Mini-»Fartlek-Hügel«, einen künstlich angelegten Berg am Ende des Platzes mit drei Tartan-Bahnen aus Polyurethan, die sich dort hinauf- und darüber hinwegschlängeln. Um sieben Uhr früh, als die Sonne über der Stadt aufgeht, kämpft sich Sergeant Flea Marley, dreißig Jahre alt, die Steigung hinauf. Sie läuft vorbei an den Sockeln der drei Windräder, die dort oben stehen, und auf der anderen Seite wieder hinunter. Sie hält ein hartes, hohes Tempo, wendet am Fuße des Hügels, ohne innezuhalten, und läuft wieder hinauf. Ihr schwarzes T-Shirt – » POLICE « steht in erhabenen Lettern zwischen den Schultern – ist tropfnass vom Schweiß, der in Dampfwolken verdunstet. Beim Fartlek muß man die Laktatschwelle überwinden. Die Übelkeit. Man muss es wollen .
Flea will es. Sie will wieder fit sein. Sie ist Sergeant bei der Unterwasser-Sucheinheit – dem Taucherteam der Polizei. Eine Frau in einer Männerwelt, in der vor allem ihr Körper funktionieren muss. Vor mehr als zehn Monaten hat sie bei einer Explosion in einem Tunnel eine Verletzung am Oberschenkelmuskel und ein geplatztes Trommelfell davongetragen. Der Weg zurück zur Fitness war lang, aber der größte Teil liegt hinter ihr. Sie hat hart an sich gearbeitet und ist – schlicht und einfach – ein anderer Mensch als vor einem Jahr. Sie hat alles im Griff. Die Dinge in ihrem Kopf sind säuberlich aufgereiht. Es ging nur darum, sie in Schachteln zu tun. Den Deckel zu schließen. Das ist auch das Geheimnis beim Fliegen – man schaut weder nach unten noch zurück.
Sie verlässt den Hügel und läuft auf den Platz, und dort verfällt sie in die entspannte Laufphase. Sie trabt voran, der
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