Die Puppe: Psychothriller (German Edition)
Boden unter ihren Füßen ist trocken und kalt. Der Rasen unbeleuchtet. Das einzige Licht kommt von den Flutlichtern drüben über dem Kunstrasen, wo eine Fußball-Jugendmannschaft ihr morgendliches Training absolviert. Der Kompressionsstrumpf, den sie monatelang am Oberschenkel getragen hat, ist jetzt weg, und die Luft am Bein fühlt sich gut an. Das geplatzte Trommelfell hat sich entzündet und sie länger als erwartet beschäftigt – sie hat zwar gearbeitet, aber acht Monate lang nur eingeschränkten Dienst gemacht –, und sie wird wahrscheinlich noch drei Wochen nicht tauchen können: Dann muss sie zu den Barotrauma-Spezialisten in Plymouth, um sich offiziell wieder einsatzfähig schreiben zu lassen. Aber ihr Körper fühlt sich jetzt schon richtig gut an, und zum ersten Mal seit einer Ewigkeit hat sie auch das Gefühl, gut auszusehen. Sie hat wieder zugenommen, und ihre Haut ist rosig.
Als sie zum hohen Tempo der letzten Minute übergeht, wird ihr bewusst, dass sie beobachtet wird. Ein Mann sitzt auf einer Bank in dem Laubengang, der zum Parkplatz führt – unter den ausladenden herbstlichen Ästen.
Sie vollendet die volle Fünfhundert-Meter-Runde und behält ihn dabei mit kurzen Blicken im Auge. Um ihn herum liegt Laub auf dem Boden, und er trägt eine schwarze Windjacke mit hochgeschlagenem Kragen und hat die Ellbogen auf die Knie gestützt. Sein Gesicht wirkt hart und entschlossen. Er hat einen kräftigen Hals, intensive blaue Augen und dunkles, sehr kurz geschnittenes Haar. Wenn er jetzt aufstände, wäre es eine sehr lässige Bewegung – eine Bewegung, die andere Leute, vor allem Frauen, bemerken würden. Flea weiß das, denn sie weiß, wer er ist. Es ist DI Jack Caffery.
Sie hat ihn seit fast einem Jahr nicht mehr gesehen oder mit ihm gesprochen – und sie nimmt ihn auch jetzt nicht zur Kenntnis. Stattdessen legt sie am östlichen Rand des Sportplatzes einen Sechzig-Meter-Sprint ein und verringert das Tempo, als sie die Kurve nimmt. Er wird sie ununterbrochen beobachten können, und das ist ihr recht. Zum ersten Mal seit einer Ewigkeit mag sie ihren Körper, und sie hat nichts dagegen, dass Leute ihn anschauen. Sie hat einigen Grund, stolz zu sein.
Als sie um das obere Ende des Platzes herumkommt, gibt das Funkgerät in dem schwarzen Halfter an ihrem Oberarm sein vertrautes Zwitschern von sich. Es ist das unverwechselbare Signal eines Direktkontakts: Jemand will ausdrücklich mit ihr sprechen. Sie verlangsamt ihr Tempo zu einem weit ausgreifenden Dauertrab. Vielleicht ist das seine Art, mit ihr Kontakt aufzunehmen. Aber dann sieht sie den Anrufer auf dem Display, und es ist nicht Jack Caffery, sondern Wellard, ihr stellvertretender Sergeant.
Sie bleibt stehen, beugt sich vornüber und stützt keuchend eine Hand auf den Oberschenkel. Als sie sich fast wieder erholt hat, richtet sie sich auf und hält das Funkgerät an den Mund.
»Hi, Wellard. Was gibt’s?«
»Hab’s auf Ihrem Handy versucht. Nicht erreichbar.«
»Nein – ich bin auf dem Platz des Fußballclubs. Ich glaube, das liegt an den Windkrafträdern.«
»Können Sie reinkommen? Wir haben einen Einsatz.«
»Einen Einsatz?« Flea bohrt die Finger in die Bauchmuskeln, wo sie schmerzen. »Einen Tauchereinsatz?«
»Nein, eine Suche. MCIT .«
MCIT – das ist Jack Cafferys Einheit. Sie verkneift es sich, einen Blick über die Schulter zu ihm zurück zu werfen. »Was wollen die denn?«
Wellard seufzt. »Einen Sucheinsatz. Vermisste Person. Ich schätze, das ist von einem Revisionsteam angeregt worden, denn es ist eine, nach der wir schon mal gesucht haben. Misty Kitson.«
»Misty Kitson.«
»Sag ich doch.«
Flea lässt die Taste los. Sie atmet ein und aus und saugt die Luft bis auf den Grund ihrer Lunge. Ihr Puls, der eigentlich langsamer werden sollte, hat sich bei diesem Namen wieder beschleunigt. Misty Kitson.
»Boss? Sind Sie noch da?«
Sie hustet. Drückt auf die Taste. »Ja, ja – ich bin hier.«
»Ich wollte sagen – Misty Kitson –, sie wollen, dass wir noch einmal in der Umgebung der Klinik nach ihr suchen. Sie werden die Parameter ausweiten.«
»Ja, ich höre.«
»Können Sie ins Büro kommen? Anfangen, über ein Team nachzudenken?«
»Bin schon unterwegs.«
Sie schiebt das Funkgerät ins Halfter zurück und bleibt mit klopfendem Herzen einen Moment lang stehen. Misty Kitson. Eine Suche nach Misty Kitson. Der einzige Officer beim MCIT , der eine solche Anforderung veranlassen würde, ist derjenige, der den Fall
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