Die Puppe: Psychothriller (German Edition)
abgedeckt haben. Sie finden skelettierte Überreste, sagen wir … ach, ich weiß nicht … irgendwo da draußen, und …«
»Moment, Moment! Wollen Sie damit sagen, was ich hier zu verstehen glaube?«
»Überlegen Sie. Wie oft haben Sie mit einer Situation wie dieser zu tun gehabt? Jemand wird vermisst. Sie suchen, aber Sie ziehen die Grenzen des Suchbereichs ein bisschen zu eng … Meistens sind die Überreste so stark verwest, dass man die Person nicht mehr identifizieren und die Todesursache nicht mehr erkennen kann. Und im Fall Misty? Sie war drogensüchtig, hatte Depressionen, ihre Ehe brach auseinander, ihr Name stand immer wieder in der Zeitung, weil sie Mist gebaut hat. Vielleicht hat sie ein stilles Plätzchen gesucht, um zu sich zu kommen, hat sich verirrt, sich hingelegt, um zu schlafen, und ist nicht wieder aufgewacht. Es war Mai, aber in der Nacht war es kalt – ich habe in den Temperaturaufzeichnungen nachgesehen. In ihrem Zustand könnte sie schnell in Unterkühlung verfallen und die Orientierung verlieren. So was kommt häufig vor. Wir verstreuen die Knochen, wie Tiere es tun würden – ein Alptraum für jeden Pathologen. Und einen entscheidenden Punkt wollen wir nicht vergessen. Der Senior Investigating Officer leitet die forensischen Untersuchungen. Und der SIO in diesem Fall bin …«
Sie wendet sich ab. Sie weiß, dass er als leitender Ermittler zu bestimmen hat, auf welche Punkte sich die forensischen Mittel konzentrieren. Er könnte die Pathologen in jede beliebige Richtung dirigieren.
»Und« – er setzt noch eins drauf – »wenn ich dabei wäre, wenn Sie die Überreste finden, könnte alles Spurenmaterial, das wir übersehen haben, einfach als kontaminiertes Material abgebucht werden. Wir sind in jeder Hinsicht abgesichert.«
Sie starrt aus dem Fenster. Das Funkgerät in ihrem Halfter gibt ein leises Knistern von sich. Draußen kommen und gehen die Teams; sie bleiben auf dem Parkplatz stehen, um miteinander zu reden, und machen die ernsten Gesichter von Leuten, die nicht wissen, dass man sie auf eine Phantomjagd geschickt hat.
Als sie schließlich antwortet, klingt sie ruhig und beherrscht. »Ich kann nicht tauchen. Meine Ohren sind kaputt. Und Sie schaffen das nie im Leben. Selbst wenn Sie genau wüssten, wohin, müssten Sie ein brillanter Taucher sein. Ein außergewöhnlich brillanter Taucher.«
»Heißt das ja?«
»Was machen Sie, wenn ich Nein sage?«
»So weit habe ich noch nicht vorausgedacht.«
Sie seufzt und reibt mit Daumen und Zeigefinger ihren Nasenrücken. »Es tut mir leid, Jack. Ich danke Ihnen für das, was Sie getan haben, aber nein. Ich habe immer wieder darüber nachgedacht – bin es im Kopf immer wieder durchgegangen. Dies ist wirklich der beste Weg. Der sicherste Weg. Es tut mir leid, wirklich sehr leid.«
Starbucks
Isaac Handel war der Typ mit der Topffrisur, der AJ darauf aufmerksam gemacht hat, was Moses an jenem Tag im Frühstücksraum mit dem Löffel tat. Bis gestern Morgen, als er in eine Reha-Einrichtung entlassen wurde, hat er sein ganzes Erwachsenenleben in der Hochsicherheitsklinik Beechway verbracht. Sieben Jahre vor AJs Ankunft wurde er von einer jugendpsychiatrischen Klinik auf die Akutstation überwiesen, und nach allem, was man aus jener Zeit hörte, war er dort von Anfang an nicht einer der einfachsten Patienten.
Er war achtzehn Jahre alt. Hatte Akne und fettige Haare, war desorientiert. Er roch abscheulich, und wohin er auch ging, wehte dieser Geruch hinter ihm her. Außerdem bestand er darauf, zwei marionettenartige Figuren in den Armbeugen mit sich herumzuschleppen, die er seine »Püppchen« nannte – hässliche Dinger, die genauso stanken wie er. Er ließ sich nicht von ihnen trennen – niemals.
Der Gestank wurde immer schlimmer, und die Pfleger mussten auch mal fester anpacken, um ihn in die Dusche zu schaffen. Drei Männer waren nötig, um ihn dort auszuziehen. Aber als sie versuchten, ihm die Puppen wegzunehmen, pinkelte Isaac sie kurzerhand voll. Danach versuchten sie nie wieder, ihm die Puppen abzunehmen.
Langsam taten Medikamente und Therapie ihre Wirkung, und Isaac wurde ruhiger. Er fing an, sich zu duschen, und stank nicht mehr so fürchterlich. Seine Puppensammlung wuchs; von seinem Taschengeld kaufte er sich Material, und in den Kunsttherapiesitzungen mit Jonathan Keay war er dauernd damit beschäftigt, die verdammten Dinger zu nähen und zu bemalen. Keay half ihm dabei sehr oft, und tatsächlich fragte AJ sich manchmal,
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