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Die Puppe: Psychothriller (German Edition)

Die Puppe: Psychothriller (German Edition)

Titel: Die Puppe: Psychothriller (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mo Hayder
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O.
    Ihre Hände finden ihn vor der Taucherlampe: einen schmalen Spalt, der den oberen Rand des Lochs markiert. Der Eingang ist breit genug für zwei Taucher mit voller Ausrüstung.
    Erst weiter hinten wird es wirklich eng. Niemand würde den Weg finden, wenn er nicht wüsste, was er sucht. Ganz gleich, wie erfahren er ist.
    Sie hat ein stampfendes Geräusch in den Ohren: wah wah wah . Vielleicht das erste Anzeichen dafür, dass etwas schiefgeht. Sie ignoriert es. Tiefer wird sie heute Abend nicht tauchen – von jetzt an geht es wieder aufwärts. Selbst wenn jemand – ein über alle Maßen unwahrscheinliches Szenario – diesen Eingang fände, würde er nicht wagen, hier weiter einzudringen. Der Aufstieg durch den Kamin ist mit Gefahren gespickt – abbrechende Felsbrocken, die Steine und Erde in den Schacht fegen, herabhängende Wurzeln, die einem die Sauerstoffflaschen vom Rücken reißen, scharfe Kanten, die die Auftriebsweste zerschneiden. Aber wenigstens geht es die ganze Zeit nach oben, und das wird ihrem Körper Gelegenheit geben, sich von dem extremen Druck zu erholen.
    Sie stößt ein paar flache Atemzüge aus, um ein Stück tiefer zu sinken, und zieht sich dann mit den Fingern in die Höhle hinein. Sie schwimmt weiter, folgt der Steigung des Bodens und richtet den Strahl der Lampe nach oben, bis sie über sich die nächste Öffnung erkennt, die in den engen Kamin führt. Die Luftblasen aus dem Atemregler schießen wie ein silbriger Nebel nach oben und sammeln sich unter den überhängenden Schründen und Simsen über ihr. Wenn sie dort groß genug werden, springen sie von der Wand und rasen hinter den anderen her, durch den Kamin nach oben. Verschwinden. Flea weiß, wie sie schließlich an der Oberfläche zerplatzen – sechsundvierzig Meter über ihrem Kopf. Wenn diese Luftblasen ihr nur eine Nachricht schicken und ihr mitteilen könnten, was da oben ist. Ob sich etwas verändert hat. Was sie erwartet.
    Der Tauchcomputer an ihrem Handgelenk zeigt dreiundsechzig Meter an. Eine ganz, ganz schlechte Tiefe. Sie positioniert sich so, dass sie am Grund des Kamins steht, streckt eine Hand über den Kopf und lässt komprimierte Luft in ihre Weste strömen. Langsam fängt sie an aufzusteigen und folgt den Gasblasen. Ein seltsam leichtes Gefühl – als steige sie in den Himmel auf.
    Fünfundvierzig Meter. Der erste planmäßige Dekompressionsstop. Sie macht Halt und stemmt die Hände gegen den Fels. Der Schmerz in ihren Ohren hat nachgelassen. Sie ist durch. Sie ist durch. Sie hat es geschafft. Ihre Ohren haben gehalten, und sie hat die erste Hürde hinter sich.
    Ineinandergleiten
    Es ist vier Uhr früh, als die Lampe draußen vor Melanies Fenster angeht.
    AJ ist schon wach. Er hat wieder diesen Traum gehabt – in dem er durch ein Kaninchenloch in den Himmel hinunterschlüpft –, und jetzt hat er mit offenen Augen auf dem Rücken gelegen und Melanies leisem Atmen gelauscht. Seine Gedanken schweifen umher – er hat an so vieles gedacht. An Isaac. An das, was er auf der Upton Farm getan hat – dass er dort seine Eltern umgebracht hat. Nur ein paar Meilen weit von Eden Hole entfernt.
    Das Leben war wunderbar, aber auch zutiefst unheimlich. Er schaut auf Melanie hinunter. Sie schläft tief und fest. Er kann immer noch nicht fassen, wie leicht und naheliegend die Entscheidung war – wie mühelos es für beide gewesen war, in das Leben des anderen zu gleiten. Er war nicht mehr allein. Vielleicht würde er es nie wieder sein.
    Dann geht dieses Licht an.
    Zuerst rührt er sich nicht. Er sieht Insekten, die im Lichtstrahl herumschwirren, aufgekratzt und geschäftig, nachdem der Regen aufgehört hat. Beim Anblick dieser Fliegen ist ihm, als wäre wieder Sommer, nicht Spätherbst.
    Leise schlägt er die Decke zurück und tappt barfuß quer durch das Zimmer. Als er am Fenster ist, erlischt das Licht draußen wieder. Aber im letzten Moment, nur den Bruchteil einer Sekunde lang, sieht er eine Gestalt im Garten.
    Es geht so schnell, dass es wie eine Fata Morgana erscheint – ein Blitzen auf seiner Netzhaut. Er blinzelt und versucht, seine Augen an den plötzlich dunklen Garten zu gewöhnen. Er weiß nicht genau, was er gesehen hat. War es Einbildung, oder hatte die Gestalt ein glattes weißes Gesicht? Ohne Konturen. Und war da die Andeutung eines Spitzenhemdes?
    »AJ?«, murmelt Melanie verschlafen. »Was ist?«
    »Nichts.« Er öffnet das Fenster und lehnt sich hinaus. Die Schatten im Garten verwandeln sich in erkennbare

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