Die Puppe: Psychothriller (German Edition)
Jahren, die er hier schon lebt, und bei all den Wanderungen, die er in der Gegend unternommen hat, kann er an den Fingern abzählen, wie oft er diesen Pfad genommen hat. Es gibt viel hübschere und einfachere Wege, die man hier gehen kann. Er kann sich nicht an die genaue Route erinnern, aber er weiß, dass er hinauf bis an den Rand des Plateaus führt. Und er weiß, wenn man weit genug geht, führt er auf der anderen Seite wieder hinunter, durch eine Gegend, die man The Wilds nennt. Und am Ende stößt man dann auf die Upton Farm.
Isaac, denkt er. Du hast deine Mum und deinen Dad auf dieser Farm umgebracht.
Er schaut auf Stewart hinunter. Diesem Hund würde er alles zutrauen. Es ist nicht schwer zu glauben, dass Stewart mitbekommt, was die Leute im Stillen beschäftigt. Aber kann er hellsehen?
»Nicht mal du bist etwas so Besonderes, Stew. Sorry, Alter – da unten ist nichts. Jetzt komm – gehen wir nach Hause. Dein Herrchen hat noch ein heißes Date.«
Tauchen jenseits der erlaubten Grenze
Es ist kälter als in der Arktischen See – so kalt, dass es Fleas Lunge zusammenpresst. Sie muss sich angestrengt darauf konzentrieren, dass ihre Rippen sich heben und senken. Wie ein Stein sinkt sie hinab, tiefer und tiefer und tiefer in die Dunkelheit. So sind Mum und Dad gestorben vor vier Jahren. Nur dass sie wahrscheinlich mit dem Kopf voran hinabgetaucht sind. Niemand weiß genau, wie lange sie dabei noch bei Bewusstsein waren.
Sie schaut auf ihr Handgelenk. Der Tauchcomputer, den sie dort trägt, ist ihr eigenes, geheimes Gerät, und sie verwahrt es hinter Schloss und Riegel, wenn sie es nicht benutzt. Wenn es in die falschen Hände geriete, könnten die Aufzeichnungen der illegalen Tauchunternehmen, die hier gespeichert sind, sie in ernsthafte Schwierigkeiten bringen.
Sie erreicht den ersten Meilenstein – die Fünfzig-Meter-Marke – und drückt ein bisschen komprimierte Luft in die Weste, um den Abstieg zu verlangsamen. Neutralen Auftrieb zu erreichen und sich auszupendeln. Das Ohr ist in Ordnung. Bis jetzt zumindest.
Sie muss mit ihrer Unterwasserlampe ein bisschen herumsuchen, bevor sie den Eingang findet. Ein Netz ist mit Warntafeln gespickt: TIEFE ÜBERSCHREITET 50 METER. BEIM TAUCHEN EIGENE FÄHIGKEITEN NICHT ÜBERSCHÄTZEN . Das soll Hobbytaucher davon abbringen, in unerforschte Tiefen vorzudringen. Hier ist die Schwelle. Die Pforte zur Hölle. Man kann unmöglich voraussagen, was dahinter passiert.
Die Kälte wird ihr Denken verlangsamen; also arbeitet sie methodisch, hält sich streng an die Routine und lässt sich Zeit. Mit der Lampe checkt sie Tiefe, Sauerstoff und Tauchzeit und vergleicht alles ganz präzise mit ihrem Tauchplan. Sie spürt einen kaum merklichen Schmerz im Ohr, der sich über die Schläfe ins Auge ausbreitet. Vielleicht liegt es nur an der Straffheit der Maske, die sie seit Monaten nicht benutzt hat, aber wenn dieser Schmerz schlimmer wird, muss sie auftauchen. Übelkeit empfindet sie noch nicht, und das muss doch ein gutes Zeichen sein.
Zweimal ein kurzes Schnappen am Ventil. Automatisch. Dann kippt sie vorwärts, bis sie waagerecht schwebend im Wasser liegt und sich mit einer Hand am Netz festhält, um sich zu stabilisieren. Sie schiebt es beiseite, schlängelt die Beine darüber hinweg und lässt sich mit den Füßen voran weiter sinken. Die Hände hält sie am Körper.
Die Felswand kommt ihr aus dem Dunkel entgegen. Sie greift danach und rotiert um neunzig Grad, sodass ihr Körper flach am Fels liegt, und wie ein Krebs tastet sie sich in den Steinbruch hinunter, befühlt die Felswand mit einer behandschuhten Hand und streicht über Moos und Flechten.
Unter ihr geht es immer tiefer in den Steinbruch hinunter. Was sie sucht, ist auf halber Höhe zwischen ihr und dem Grund. Jeder Meter verstärkt den Druck auf ihrem Ohr – und die Chance einer Katastrophe.
Bei sechzig Metern macht sie Halt. Hier ist nichts als Dunkelheit und das verstärkte Geräusch ihres eigenen Atems. Man denkt niemals an die Wassermassen, die man über sich hat – wenn man es täte, würde man verrückt. Der Eingang ist hier irgendwo. Sie klammert sich fest, atmet in gleichmäßigen Zügen. Sie betrachtet alles, was sie im Lichtstrahl der Lampe sehen kann, und versucht, sich an geheime Gesteinsschichten und unverwechselbare Formationen zu erinnern. Ihr Herz klopft laut, aber sie atmet absichtlich langsam. Panik ist die häufigste Todesursache in solchen Tiefen. Regelmäßiges Atmen ist das A und
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