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Die Puppe: Psychothriller (German Edition)

Die Puppe: Psychothriller (German Edition)

Titel: Die Puppe: Psychothriller (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mo Hayder
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Hähne, alle Griffe sind senkrecht nach unten gerichtet. Für das Pflegepersonal sind diese Badezimmer schwarze Löcher des Grauens. Selten betritt man eins und findet die Toilette unbenutzt vor. Außerdem sammelt sich hier der übliche Abfall der menschlichen Körperfunktionen: Papiertaschentücher, verklebt mit Rotz oder – bei den Männern – anderen Körperflüssigkeiten. Schamhaare, Hautschuppen, Erbrochenes. Selbst für zwangsgestörte Patienten mit einem obsessiven Sauberkeitsfimmel ist das Badezimmer offenbar ein blinder Fleck.
    AJ starrt lange durch die Tür in das Bad, und die Zahnrädchen in seinem Kopf drehen sich dabei ganz langsam. Schließlich knipst er das Licht an.
    Gottlob ist die Putzkolonne hier schon gewesen. Es riecht nach Scheuermittel, das frisch gesäuberte Waschbecken ist spiegelblank. Durch das Fenster sieht man den Verwaltungstrakt. In einem oder zwei Zimmern brennt dort Licht. Tiefhängende Wolken bedecken den Himmel und drohen mit Regen. Es ist dunkel draußen wie am Abend. AJ stößt mit der Schuhspitze an die Wannenverkleidung. Sie gibt nach und federt mit einem lauten, dumpfen Schlag zurück. Er hockt sich davor und streicht mit der Hand über die Nahtstelle zwischen Plastik und Wannenrand. Sein Zeigefinger findet die Lücke: In der oberen rechten Ecke, an dem Ende, wo die Wasserhähne sitzen, fehlt eine Klammer.
    Er gräbt den Schlüsselbund aus der Hosentasche, und mit dem Anhänger, einem starren Plastiktäfelchen, biegt er vorsichtig die obere Ecke der Verkleidungsplatte vom Wannenrand weg und späht hinein. Die Glasfaser-Unterseite der Wanne ist erkennbar, aber sonst sieht er nicht viel. Er holt sein Smartphone heraus und startet die Taschenlampen-App. Dann schiebt er die rechte Hand zwischen Platte und Wanne, um den Spalt mit dem Arm zu verbreitern, und leuchtet mit dem Telefon ins Dunkel.
    Da unten ist etwas. Eine große Sporttasche mit der Aufschrift ADIDAS . Er knirscht mit den Zähnen, als er sich danach streckt. Mit der Fingerspitze erreicht er den Henkel und zieht die Tasche ein Stück näher heran. Er wird sie so nicht herausbekommen: Er muss sie aufmachen und die Sachen, die darin sind, einzeln herausnehmen. Als die Tasche nah genug ist, dreht er sich so, dass er weiter hineinleuchten kann und gleichzeitig den Reißverschluss zu fassen bekommt.
    Er zieht ihn langsam auf und fühlt das sanfte Ticken, mit dem der Schieber über die Zähne springt. Ein Geruch strömt aus der Tasche – der Geruch von alter Schmutzwäsche. Man braucht nur einen Tag in einer Einrichtung wie dieser zu arbeiten, um zu wissen, dass die Patienten die seltsamsten Dinge an den seltsamsten Orten aufbewahren. Deshalb greift man mit bloßen Händen nirgendwohin, wo man nicht vorher hineingeschaut hat. Er hält das Smartphone ein Stück näher heran und späht durch den Spalt.
    Was er sieht, lässt ihn blitzschnell zurückweichen. Er zieht die Hand heraus, die Verkleidung schnappt mit lautem Knall zurück, und er sitzt keuchend auf den Fersen.
    Eine Sporttasche
    Das Telefon weckt Caffery. Es ist Morgen, und er liegt auf dem Sofa in seinem Büro. Er fährt hoch, weil er glaubt, es war sein Handy. Dass Flea sich gemeldet hat. Aber er irrt sich. Es war das Bürotelefon. Er dreht sich herum und langt zum Schreibtisch hinüber. Es ist der Empfang – AJ ist wieder hier, und er will über etwas reden.
    »Fünf Minuten. Ich komme runter.«
    Er lockert seine Krawatte, bleibt einen Augenblick sitzen und reibt sich das Gesicht, um wieder zu sich zu kommen. Der Bericht über Isaac liegt verstreut auf dem Boden; er muss beim Lesen eingeschlafen sein. Im Einsatzraum sitzen schon drei Beamte in Zivil an ihren Computern. Er hat die ganze Zeit verschlafen. Der erste richtige Nachtschlaf, seit Jacqui Kitson vor fünf Tagen in Browns Brasserie marschiert ist.
    Er zieht sein Handy aus der Tasche und sieht nach, ob SMS -Nachrichten, Anrufe oder Mails von Flea gekommen sind. Nichts. Was für eine Überraschung. Nach einer Weile steht er auf. Er vermeidet es, einen Blick auf Mistys Foto zu werfen – so, als schäme er sich, weil er an etwas anderes gedacht hat. Er nimmt seine Ersatzzahnbürste aus der Schreibtischschublade, macht sich auf der Herrentoilette kurz frisch und geht dann hinunter. AJ steht schüchtern am Empfang und hat eine riesige ADIDAS -Sporttasche dabei. Ist es Cafferys Einbildung, oder ist er ein bisschen blasser als gestern?
    »Danke, dass ich kommen darf«, sagt er, als sie die Treppe hinaufgehen.

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