Die Puppe: Psychothriller (German Edition)
»Alles okay?«
Caffery zuckt die Achseln und zieht einen Stuhl für AJ heran. Im Videoüberwachungsraum ist ein Briefing zu einem anderen Fall im Gange, und er muss seine Zimmertür schließen, weil es zu laut ist.
»Ich habe gestern mit der Rechtsmedizin gesprochen – sie werden sich Zelda noch mal ansehen.«
»Das heißt, Sie kümmern sich darum?«
»Ich habe schon angefangen. Gestern war ich in dem Hostel, in dem Isaac wohnen soll.«
»Und?«
»Er ist nicht da. Seit vorgestern.«
» Fuck .« AJ lässt sich auf den Stuhl plumpsen. » Fuck .«
»Ja.« Caffery sieht wieder auf die Uhr. Er hat nicht vorgehabt, so lange zu schlafen. Jetzt fehlt ihm die Zeit. »Wir wissen nicht, wo er ist, aber ich habe ein paar Hinweise, denen ich nachgehen werde.« Sein Blick wandert zu der Sporttasche. »Ich nehme an, in dieser Tasche ist was Wichtiges?«
»Ja, ich … besser gesagt – ich weiß es nicht. Ich weiß nicht, ob es wichtig ist, aber ich hab’s gefunden. In Handels Badezimmer.«
Er hebt die Tasche auf den Schreibtisch, zieht den Reißverschluss auf und kippt sie aus. Caffery setzt die Brille auf und rutscht mit dem Stuhl nach vorn, damit er besser sehen kann. Der Geruch weht ihm entgegen, und er hält sich die Hand vor die Nase. »Mann. Die stinken.«
»Ich weiß. Tut mir leid. Ich weiß nicht mal, ob ich sie haben darf – ob sie gestohlen sind oder Beweismaterial oder was. Vielleicht hätte ich sie dalassen sollen, wo ich sie gefunden habe. Hab’s aber nicht getan.«
»Ich wünschte, Sie hätten es getan.« Caffery schiebt seinen Stuhl zurück, steht auf und macht das Fenster auf.
»Ich dachte, Sie wollen sie haben.«
»Warum soll ich sie haben wollen?«
AJ rutscht unsicher auf seinem Stuhl hin und her, schiebt die Hände in seine Jackentaschen und schaut auf seine Füße. »Keine Ahnung«, sagt er lahm. »Vielleicht dachte ich, Sie können daraus eine Probe von Handels DNA gewinnen?«
»Ja.« Caffery schiebt das Fenster so weit auf, wie es geht. Kalte Morgenluft strömt herein. »Ja.«
Schweigend starren sie auf das, was auf dem Schreibtisch liegt. Ein Haufen Puppen. Alptraumhafte Dinger, aus verschiedenen Arten Plastik und Stoff gemacht. Die meisten haben furchtbare, lebensechte Augen – winzige Plastikknöpfe aus einem Hobbyshop. Sie klappen auf und zu wie die Augen eines Frosches, wenn man die Puppen bewegt. Ein paar haben gestickte Kreuze, wo die Augen sein sollten, und eine hat ein normales Auge links und ein rotes Bonbon rechts.
Jede ist anders und auf ihre Art ungut. Manche sollen anscheinend weiblich sein – sie haben langes, strähniges Haar und plumpe, aus gestrickter Wolle zusammengenähte Brüste. Andere sind Männer mit winzigen Gliedern aus Hobbyshop-Filz oder baumelnden gehäkelten Säcken. Bei einigen sind winzige Streifen Klebeband über Augen und Mund geklebt, bei anderen die Arme mit Paketschnur auf den Rücken gebunden. Manche haben scheußliche kleine Gebisse – aus Muscheln oder Kunstperlen vielleicht, Caffery kann es nicht erkennen. Manche liegen eingesargt und mit auf der Brust gekreuzten Händen auf pinkfarbenen Satinkissen, wie mittelalterliche Heilige und Helden oft auf ihren Sarkophagen abgebildet werden: tapfer, geheiligt, gemartert.
»Die waren in seinem Badezimmer?«
»M-hm. Hinter der Wannenverkleidung.«
»Die stinken ja wie die Pest. Hat niemand den Geruch bemerkt?«
»So ist das nun mal in einer geschlossenen Anstalt. Der Geruch dort haut einen um, er ist abscheulich, immer da, man entkommt ihm nicht. Sagen Sie nicht, Sie waren noch nie in einer solchen Einrichtung?«
Caffery senkt den Kopf. »Nicht angenehm, das gebe ich zu.«
»Und alle waren daran gewöhnt, dass Isaac stank. Vor allem am Anfang. Die hier …« Er wedelt mit der Hand über den Puppen hin und her, als habe er Mühe, die richtigen Worte dafür zu finden. »Diese Dinger hier, die er gemacht hat – es war das Einzige, womit er sich beschäftigt hat. Und immer hat er eine oder zwei davon mit sich herumgeschleppt. War nicht davon zu trennen. Wir haben’s irgendwann aufgegeben. Und wenn Sie dauernd unter Isaacs Achseln geklemmt hätten, würden Sie auch stinken.«
Er faltet ein aus einem Ringblock gerissenes Blatt auseinander und hält es Caffery entgegen. Darauf stehen mehrere Zeilen in einer sehr kleinen, säuberlichen Handschrift. Caffery liest mit schmalen Augen. Er erkennt einen oder zwei Sätze, die nach der Bibel klingen. AJ fährt mit dem Finger unter den Zeilen entlang:
Sei
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