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Die Puppe: Psychothriller (German Edition)

Die Puppe: Psychothriller (German Edition)

Titel: Die Puppe: Psychothriller (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mo Hayder
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und den Informationsfetzen, die sie gesprächsweise von Graham bekam, machte sie sich nach und nach ein Bild von dem, was mit dem Jungen passierte. Jeder, erkannte sie, der Isaac aufgebracht oder geärgert hatte, wurde als Puppe nachgebildet, und diese seltsamen Mini-Bildnisse von Menschen und Tieren bevölkerten die Welt des heranwachsenden Jungen. Die notorisch schlechtgelaunte Katze eines Nachbarn, die Isaac einmal gekratzt hatte, bekam eine Toilettenpapierrolle als Körper, an die er echtes Haar tackerte und clownhafte Augen klebte. Die Pfoten, sah Penny, waren gefesselt, und die Haare schienen echte Katzenhaare zu sein. Sie zupfte ein paar davon ab und verglich sie am nächsten Tag mit dem Fell der Katze. Die Haare passten zusammen.
    Graham erzählte Penny, in Isaacs Schule sei ein kleines Mädchen, das stahl. Die treibende Kraft für sie sei anscheinend der Nervenkitzel, denn die entwendeten Dinge passten in kein logisches Muster – es waren abwechselnd Süßigkeiten und Spielsachen und Geld und Kleidungsstücke und Bleistifte und Papier und Strümpfe. Einmal stahl sie jemandem die Späne aus dem Bleistiftanspitzer, nur um zu zeigen, dass sie es konnte. An dem Tag, als Isaacs Fußball aus seinem Regal in der Schule verschwand, kam er nach Hause und machte eine Nachbildung des kleinen Mädchens aus einem Fetzen von dem blauen Baumwollstoff, aus dem die Schuluniformen der Mädchen bestanden. Die Puppe hatte lange schwarze Haare aus Wolle, und eine Hand war auf den Rücken gefesselt. Die Diebeshand, für immer außer Gefecht gesetzt.
    Penny ging in die örtliche Bücherei und las in ein paar Büchern über Voodoo. Ein Voodoo-Fetisch, erfuhr sie, musste einen Gegenstand aus der Nähe der dargestellten Person enthalten – idealerweise etwas vom Körper: abgebrochene Fingernägel oder Haare zum Beispiel. Ausscheidungen konnte man ebenfalls verwenden – Urin, Kot, Sperma, Bronchialschleim, Schweiß, Blut –, aber natürlich auch Kleidungsstücke. Ein Schamane oder Medizinmann sang dazu Zaubersprüche, die die Macht hatten, körperliche Akte, die an der Puppe vollzogen wurden, auf die dargestellte Person zu übertragen.
    »Mrs Handel leiht sich diese Bücher dauernd aus«, sagte die Bibliothekarin naserümpfend. »Da fragt man sich schon, oder? Sie wissen schon – wie der Junge sich entwickelt hat.«
    Louise hatte an der Fernuniversität einen Kurs in Geschichte belegt, und als Penny ein wenig genauer nachforschte, fand sie heraus, dass sie tatsächlich Voodoo und Sklavenhandel zum Thema eines ihrer Referate gemacht hatte. Penny war klar, dass Isaac diese Bücher gesehen haben oder durch Louises Interesse beeinflusst worden sein musste, aber als sie Graham danach fragte, nahm er ihr Unbehagen nicht ernst. Das war der Augenblick, in dem sie anfing, das Vertrauen in ihren Liebhaber zu verlieren. Im Laufe der nächsten Monate kam ihr immer stärker der Verdacht, er meine es auch mit ihr nicht ernst, und allmählich fragte sie sich sogar, ob sie die einzige Geliebte war, die Graham sich im Laufe seiner Ehe gehalten hatte, und ob Louise sich auf ihren »Geschäftsreisen« nicht in Wirklichkeit zu ihren eigenen Liebschaften flüchtete. Die Angst- und Schuldgefühle gegenüber ihrem eigenen Ehemann – ihrem stillen, friedfertigen, abenteuerscheuen, sexuell uninteressanten Ehemann – wurden immer schlimmer.
    Dann bekamen Penny und ihr Mann eine Einladung zur Halloween-Party bei den Handels. Graham bestand darauf, es werde einen merkwürdigen Eindruck machen, wenn sie nicht kämen. Penny erinnert sich noch heute lebhaft daran: Den größten Teil des Abends hat sie in ihrer Zigeunerinnenbluse und dem Patchworkrock in der Küche verbracht und ihren selbstgemachten Hexenhut in der Hand gehalten, verwundert angesichts all der fremden Frauen mit grünen Perücken und Strapsgürteln, die rauchten und lachten und in großen Schlucken Champagner tranken und sich die Lippen mit glänzendem rotem Lippenstift schminkten.
    Zum Erstaunen ihres Mannes weinte Penny auf dem Heimweg. Ihr Irrtum war ihr grell beleuchtet vor Augen geführt worden. Graham war nicht der Mann, den sie zu lieben glaubte. Bei sich beschloss sie, die Affäre mit ihm zu beenden – was immer es kosten würde.
    Als sie jetzt in der Mühle auf dem Sofa sitzt, wandert ihre Aufmerksamkeit zu den Fenstern. Der Blick dort geht zum Talgrund hinaus. Auf der anderen Seite des Baches steigt das bewaldete Gelände immer weiter an und endet dort oben auf der Höhe, wo der

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