Die Puppenspieler
erfolgreich, sie dabei nicht aufzuwecken. Doch in dieser Nacht hatte sie kaum geschlafen. Sybille überlegte, ob sie nicht etwas sagen sollte, dann verwarf sie den Gedanken wieder. Sie hatte geweint, und sie wollte nicht, daß Jakob das sah. So ließ sie ihn weiter in dem Glauben, sie schliefe, und versuchte, noch etwas Wärme in den Falten der Decke zu finden.
Es war nicht nur der Tod ihres Vaters, obwohl sie ihn geliebt hatte und aufrichtig betrauerte; Wilhelm Artzt war ein alter Mann gewesen, der auf ein langes und erfolgreiches Leben zurückblicken konnte. Nein, es sind nicht die Toten, dachte sie, und preßte unbewußt die Lippen zusammen; es sind die, die nie gelebt haben.
Zu ihrer eigenen Überraschung und zu Ulrichs prahlerischer Freude hatte Veronika Fugger am letzten Sonnabend noch einem Kind das Leben geschenkt. Neid, das wußte Sybille, war eine Todsünde, und sie hätte sich nie träumen lassen, einmal auf Veronika neidisch zu sein, auf die zanksüchtige, ewig unzufriedene Veronika mit ihrem mittelmäßigen Aussehen und neureichen Manieren. Doch Veronika, die kein Kind mehr gewollt hatte und es als entwürdigend empfand, nach der Hochzeit der eigenen Tochter noch einmal schwanger zu werden, hatte nun einen weiteren Sohn. Und Sybille wartete immer noch vergeben auf Anzeichen einer Schwangerschaft.
Sie versuchte an andere Dinge zu denken, versuchte noch einmal den Schlaf zu finden, der sich ihr so beharrlich verweigerte, doch es war vergebens. Schließlich, als sie merkte, daß die Sonne inzwischen aufgegangen war, stand sie ebenfalls auf. Während sie ihr Haar bürstete und es ebenso rasch wie behende einflocht, schalt sie sich wegen ihrer eigenen Schwäche. Sie war noch immer jung. Eigentlich hätte sie ihre Magd rufen sollen, damit sie ihr mit dem Ankleiden zur Hand ging, doch sie wollte niemanden die Spuren der Betrübnis auf ihrem Gesicht ablesen lassen. Sie biß die Zähne zusammen, dann tauchte sie es in die Schüssel mit kaltem Wasser.
Das schien zu helfen; der Sybille, die ihr nun aus dem Spiegel entgegensah, lagen zwar immer noch Schatten um die Augen, doch ihre Lider wirkten nicht mehr verquollen. Zögernd griff sie nach dem Wangenrot, das aus Italien stammte; sie kam sich immer noch ein wenig verrucht vor, wenn sie es benutzte, doch erstens schminkten sich mehr und mehr Frauen, und zweitens war sie nicht gesonnen, wie ein übernächtiges, bleiches Gespenst durchs Haus zu laufen.
Endlich stellte ihre Erscheinung sie zufrieden. Sie entschloß sich, die Feuerprobe gleich am Morgen zu wagen und der bettlägrigen Veronika ihren täglichen Besuch abzustatten; dann konnte der Tag nichts Schlimmes mehr für sie bereithalten. Sie frühstückte nichts, denn schon zu Beginn ihrer Ehe hatte sie es sich zur Gewohnheit gemacht, Jakob, der am Morgen ebenfalls nichts zu sich nahm, am späten Vormittag eine kleine Mahlzeit in das Kontor zu bringen und dort mit ihm zu teilen. Anfangs war es Angestellten und Familie wie eine Ketzerei vorgekommen, doch Jakob begrüßte die Neuerung; es war auch eine Gelegenheit für sie beide, sich zu sehen und miteinander zu plaudern, denn ansonsten blieb nur das große abendliche Mahl im Kreise der Familie und die Nacht.
»Guten Morgen, Veronika«, begrüßte Sybille ihre Schwägerin mit fester Stimme. »Wie geht es dir heute?« Um der Wahrheit die Ehre zu geben, fügte sie schweigend hinzu, ich verstehe nicht, warum du noch länger hier liegst.
Veronika hatte selten ausgeruhter und besser ausgesehen. Andererseits, dachte Sybille, während sie Veronikas gleichgültige Antwort zur Kenntnis nahm, konnte man es einer Frau in ihrem Alter kaum verdenken, wenn sie es genoß, ihre Pflichten gegenüber Kindern und Ehemann endlich einmal hinter sich lassen zu können. Ulrich schlief, seit Veronika festgestellt hatte, daß sie erneut schwanger war, in einem anderen Zimmer, und, so flüsterte ein boshafter kleiner Geist in Sybilles Kopf, ich wette, dort bleibt er auch.
»Du scheinst mir etwas mager und abgehetzt zu sein, Sybille«, bemerkte Veronika betont freundlich. »Ist es zuviel für dich, allein alle Pflichten in diesem riesigen Haus übernehmen zu müssen?«
»Nein«, gab Sybille zurück, entschlossen, sich nicht provozieren zu lassen. Vielleicht hatte es Veronika auch wirklich nur gut gemeint.
»Aber du bist so … unruhig«, stellte ihre Schwägerin fest.
Sybille zuckte mit den Achseln. »Ach, Veronika, du weißt doch, wir erwarten jeden Tag Richards Ankunft.«
Einige
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