Die Puppenspieler
Doch um die gewohnte Zeit ging sie ins Kontor. Ludwig Schweriz, Jakobs Hauptbuchhalter, hieß sie mit einer knappen Verbeugung willkommen und entfernte sich dann, wofür sie ihn mit einem dankbaren Lächeln belohnte.
»War die Küche heute überfüllt?« fragte Jakob gutgelaunt, doch die Heiterkeit in seinen Augen erstarb, als er sie über das Tablett hinweg prüfend anblickte. »Was ist geschehen, Sybille?«
An und für sich hatte sie sich sehr gut in der Gewalt, aber Jakob blieben die Stimmungen seiner Mitmenschen nie verborgen. Es war ein Teil des Geheimnisses seines Erfolges. Also versuchte sie gar nicht erst, ihm etwas vorzumachen; außerdem fehlte ihr im Moment die Lust, für Veronika zu lügen.
»Eigentlich etwas ganz Alltägliches«, erwiderte sie deshalb und setzte sich mit ihrer vertrauten Respektlosigkeit seiner Arbeit gegenüber auf den wuchtigen Marmorschreibtisch mit den vier Löwen, nachdem sie einige Papiere zur Seite geschoben hatte. »Ein Streit mit Veronika. Ihr war heute einfach wieder danach, mich auf … meine Kinderlosigkeit anzusprechen.«
Sie wußte, daß Freunde wie Feinde ihren Gemahl für ein gefühlloses Wunder an Skrupellosigkeit und Geschäftskunst hielten, die einen mit Achtung, die anderen voll Haß, und daß kaum jemand auf den Gedanken kam, er könne Empfindungen wie jeder andere Mensch entwickeln. Daher erfüllte es sie gewöhnlich mit Stolz, daß Jakob ihr und ihr allein auch seine andere Seite zeigte, sich selbst verwundbar machte, indem er ihr zeigte, daß er sie liebte. Im Augenblick allerdings konnte sie verstehen, warum die meisten Leute es für zu gefährlich hielten, Jakob Fugger zum Feind zu haben.
»Ich werde mich um Veronika kümmern«, sagte er knapp, dann stand er auf, ging um den Tisch herum, umfaßte mit einem Arm ihre Taille und hob mit der anderen Hand ihr Kinn. »Aber versprich mir, daß du nicht mehr daran denkst – willst du das für mich tun?«
Jetzt hatte er erreicht, was Veronika und ihren Sticheleien nicht gelungen war; Tränen stiegen ihr in die Augen, und sie konnte nicht antworten. Wütend versuchte sie, sie wegzublinzeln. Er küßte sie und murmelte gegen ihren Hals: »Sybille, es macht mir nichts aus, keine Kinder zu haben – in vieler Hinsicht ist das sogar besser. Was meinst du, warum ich damals darauf bestanden habe, daß der Gesellschaftsvertrag die normale Erbfolge ausschließt? Wir sind keine adlige Dynastie, und es wäre besser, wir fingen gar nicht erst an, uns wie eine zu verhalten.«
Sie erwiderte seinen Kuß, doch sie konnte ihm nicht recht glauben. Und was noch schlimmer war, sie konnte ihm nicht sagen, was sie dachte. Jakob mochte sich tatsächlich keine Kinder wünschen, keine Kinder brauchen; aber sie wünschte sich Kinder, wünschte sie sich verzweifelt.
Da ihr nur zu schnell wieder bewußt wurde, wie wenig Zeit er hatte, beendete sie die Angelegenheit jedoch mit einem Scherz über König Maximilians Schwierigkeiten, all seine ehelichen und unehelichen Nachkommen standesgemäß zu verheiraten. Bald plauderten sie so unbeschwert wie immer. Als Schweriz wieder hereinkam, sprang Sybille auf.
»Bei allen Heiligen, Schweriz, Ihr braucht nicht so grimmig dreinschauen. Ich werde unser aller Meister nicht länger von seiner Pflicht abhalten.«
Schweriz errötete ein wenig; nach all den Jahren war er gegenüber Sybilles Neckereien noch immer empfindlich. »Das, nun, war nicht der Grund, warum ich gekommen bin, Frau Fugger. Bitte gütigst zu entschuldigen, Frau Fugger, aber die Gruppe aus Italien ist eingetroffen, mit Eurem Neffen.«
Es erfüllte Sybille mit einer gewissen Verwirrung, daß sie im ersten Moment nicht in der Lage gewesen war, unter den Männern, die dabei waren, Pferde, Wagen und Waren in die Ställe zu bringen, Richard ausfindig zu machen. Dann wandte er den Kopf, und sie streckte ihm erleichtert die Arme entgegen. Er war noch gewachsen, seit sie ihn das letzte Mal gesehen hatte, doch das allein machte die Veränderung nicht aus; sie konnte es sich selbst nicht erklären.
»Tante!« Er ergriff ihre Hände und hielt sie mit aufrichtiger Freude fest, und Sybille dachte resignierend, eines zumindest hatte sich nicht verändert – Richard scheute nach wie vor Umarmungen.
»Willkommen daheim«, sagte sie und erwiderte seinen Händedruck.
»Daheim«, wiederholte Richard mit einem seltsam fernen Gesichtsausdruck. »Ja, das ist wohl mein Zuhause. Ich habe nicht darüber nachgedacht, bis ich Euch vorhin sah, aber dann
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