Die Puppenspieler
…«
Sybille lachte. »Kann es sein, daß man dir in Italien endlich die Kunst beigebracht hat, die Frauen mit Schmeicheleien zu umgarnen?« zog sie ihn auf und war erleichtert, als die starre Miene verschwand und einem kleinen Lächeln Platz machte. Auch damals, als Richard aus Wandlingen gekommen war, hatte sie nicht lange gebraucht, um zu entdecken, daß in dem zurückhaltenden Jungen derselbe irrlichternde Sinn für Humor ruhte wie in ihr.
»Jedenfalls habe ich in Italien niemand getroffen, der sich so gut wie Ihr darauf versteht, anderen Leuten Schmeicheleien zu entlocken«, gab er rasch zurück.
Sybille blinzelte ihm zu. »Das muß ich, Richard, das muß ich. Wie soll ich sonst in diesem Haushalt voller sparsamer Fugger auf meine Kosten kommen?«
Ich habe vergessen, wie entwaffnend sie ist, dachte Richard, während er seiner Tante von den Büchern erzählte, die er als Geschenk für sie mitgebracht hatte. Oder wie sehr allein schon das Anwesen am Rindermarkt, das nun, nachdem er die italienischen Handelshöfe erlebt hatte, auf ihn nur noch mittelgroß wirkte, an seinem festentschlossenen Gleichmut rüttelte. Und dann …
»Weil wir gerade davon sprechen«, warf er ein, bemüht, nicht zu drängend zu klingen, »ich hoffe doch, es geht … allen in der Familie gut?«
Sybille wußte sehr wohl, nach wem er eigentlich fragen wollte, und entgegnete mit tiefernster Stimme: »Wenn du von Ulrichs Magenbeschwerden absiehst, von Ursulas Liebeskummer, von Veronikas Bettlägrigkeit – Richard, er wartet im Kontor auf dich.«
Belustigt, weil seine verlegene Haltung sie mit einem Mal wieder an einen unsicheren Jungen erinnerte, fügte sie hinzu: »Und wenn du versprichst, mich nicht zu verraten, dann laß dir sagen, daß er beinahe so ungeduldig ist wie ich es war.«
Skeptisch zog ihr Neffe eine Braue hoch. »Ungeduldig? Er?«
»In der Tat, nur kann er es wesentlich besser verbergen als ich … oder du.«
Richard errötete. Er fühlte sich durchschaut, aber er wollte Sybille nicht den Eindruck vermitteln, als habe er es eilig, sie zu verlassen, und außerdem fiel ihm mit einem Mal siedendheiß ein, daß er völlig vergessen hatte, ihr sein Beileid wegen ihres Vaters auszusprechen. Daß er bei der einen Gelegenheit, bei der er seinen Großeltern vorgestellt worden war, keinen Anlaß gehabt hatte, seine Meinung über die Familie Artzt, mit Ausnahme von Sybille, zu ändern, und sich beim besten Willen nicht erklären konnte, warum der alte Mann ihn in sein Testament eingesetzt hatte, tat in diesem Zusammenhang nichts zur Sache.
»Wegen der Familie«, begann er vorsichtig, »ich – also – es tut mir leid, daß Ihr Euren Vater verloren habt.«
Sybille machte eine abwehrende Handbewegung und schaute an ihm vorbei. »Reden wir später darüber, Richard. Ich muß dir noch viel erzählen, nur glaube ich, daß es dafür angenehmere Orte gibt als einen staubigen Innenhof voller Menschen. Außerdem muß ich mich ohnehin darum kümmern, daß ihr, du und deine Reisegefährten, angemessen untergebracht werdet.«
»Einverstanden«, stimmte Richard erleichtert zu. Dann fiel ihm noch etwas ein. »Oh – wie war das noch einmal mit Ursulas Liebeskummer und Veronikas Bettlägrigkeit? Das hängt doch nicht etwa miteinander zusammen?«
»Nein. Veronika – Veronika hat vor sechs Tagen ein Kind zur Welt gebracht.«
»Was ist es geworden?« erkundigte sich Richard mit dem Ausdruck äußerster Spannung. »Skylla oder Charybdis?«
Alles, was sich an Kummer, Zorn und Eifersucht in Sybille aufgestaut hatte, entlud sich in einem befreienden, schallenden Gelächter. Sie wischte sich die Tränen aus den Augen und umarmte ihren Neffen, der mit einer solchen Reaktion nun doch nicht gerechnet hatte, fest.
»O Richard«, sagte sie, während sie ihn an sich drückte, »ich habe dich wirklich vermißt!«
Seine italienische Traumwelt um ihn war zerbrochen wie ein gläserner Palast, aber die dämmrigen Gänge des Nordflügels, wo sich der zarte Duft des Ahornholzes mit dem nach Papier und vergossener Tinte mengte, wo alle Fäden in dem goldenen, unerbittlichen Herzen des Unternehmens zusammenliefen, hielten noch eine weitere Welt für ihn bereit, und Richard, der ihre Verlockung deutlicher als je zuvor spürte, hatte auch das dringende Bedürfnis, auf der Hut zu sein.
Jakobs ›Komm zurück‹ und Sybilles Brief, die ihn in genau dem Moment trafen, als er selbst die Bande zu den beiden Menschen, die ihm Italien zum Geschenk gemacht hatte,
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