Die Puppenspieler
losließ. »Mir ist eine Erleuchtung gekommen«, sagte Richard und stand auf. Ihm war etwas schwindlig, aber er fühlte sich mit einem Mal glücklich, überlegen und in der Lage, die ganze Welt zu überblicken. »Jetzt ist mir alles klar. Ablässe. Die Söldner. Jakob. Der Papst. Einfach alles.«
Sie lächelte etwas unsicher. »Ich verstehe nicht.«
»Aber ich«, sagte Richard, sah sie an und spürte, daß sein quälender Hunger keineswegs vergangen war, »aber ich. Gibt es … gibt es in dieser Schenke oben Zimmer?«
Es hatte Sybille immer beruhigt zu sticken; während ihre geschickten Finger Faden um Faden durch den Stoff zogen, konnte sie ihre Gedanken sammeln und wieder treiben lassen, konnte die Ereignisse des Tages ordnen.
Deswegen hätte sie beinahe unwillig die Stirn gerunzelt, als Veronika ihr Zimmer betrat. Veronika war ihr seit Richards Ankunft aus dem Weg gegangen. Vor zwei Tagen war Jakob abgereist zum Hof des Königs. Bedeutete das für sie heute eine Fortsetzung von Veronikas Sticheleien? Sybille wappnete sich innerlich für einen neuen Streit.
Aber Veronika überraschte sie. Ulrichs Gemahlin ließ sich sehr vorsichtig und bemüht, keine überflüssige Geste zu machen, neben ihr nieder und schwieg ein paar Minuten, bevor sie zögernd sagte: »Sybille, ich muß mit dir über deinen Neffen reden.«
Eine derart ruhige, zurückhaltende Formulierung sah Veronika so wenig ähnlich, daß Sybille aufblickte und ihre Stickerei beiseite legte. Hastig fuhr Veronika fort: »Versteh mich recht, es hat überhaupt nichts mit dir zu tun, es ist nur … Es gefällt mir nicht, daß er so engen Umgang mit meiner Tochter hat.«
Sybille gestattete sich ein Achselzucken: »Sie sind doch zusammen aufgewachsen.«
»Aber Ursula ist kein Kind mehr, und es schickt sich für ein unverheiratetes junges Mädchen nicht … Es schickt sich eben nicht.«
Mittlerweile waren Veronikas Versuche, so taktvoll wie möglich zu sein, Sybille fast unheimlich, und so spürte sie beinahe Erleichterung, als ihre Schwägerin mit einem Anflug ihrer gewohnt spitzen Zunge meinte: »Außerdem kann ich mich noch gut erinnern, wie ich deinen Neffen im Bett mit dieser Magd gefunden habe. Er ist wohl kaum der richtige Begleiter für meine Tochter.«
»Veronika«, sagte Sybille entschieden, »ich bin sicher, daß Richard und Ursula nur so miteinander umgehen, wie es sich zwischen Vetter und Base ziemt. Im übrigen darf ich dich daran erinnern, daß Ursula längst mit Philipp von Stain verlobt wäre, wenn ihr beide, dein Gemahl und du, es nicht verboten hättet. Was erwartest du denn von Ursula? Soll sie vor dem Feuer sitzen und Trübsal blasen, in ihrem Alter?«
»Zweifellos hast du das nie getan«, begann Veronika aufgebracht, dann hielt sie jäh inne, als schnüre ihr jemand den Atem ab. »Nun gut«, brachte sie schließlich heraus, um Worte ringend, »nun gut. Ich möchte dich nur darum bitten, ein Auge auf deinen Neffen zu haben.«
Damit ging sie, und Sybille schaute ihr verwundert nach. Entweder jagte der Gedanke an Richard und Ursula Veronika tatsächlich Furcht ein, oder Jakob tat es. Sybille hatte keine Ahnung, was er zu Veronika gesagt haben könnte, doch wenn sie, die sonst nie eine Gelegenheit für ein paar Seitenhiebe ungenutzt ließ, sich bei einem derartigen Anliegen solche Zurückhaltung auferlegte, mußte die Drohung wahrhaftig gewaltig gewesen sein.
Nachdenklich strich sie ein paar widerspenstige Haare zurück, die sich aus ihrer Haube gestohlen hatten. Sie hatte kein Mitleid mit Veronika, doch ihr gefiel die Vorstellung nicht, daß Jakob ihretwegen jemanden derartig bedrohte. Und vielleicht konnte es tatsächlich nicht schaden, Richard und Ursula im Auge zu behalten.
Richard hatte noch nicht die Gelegenheit gehabt, Jakob die Schlußfolgerungen, zu denen er in der Schenke gelangt war, darzulegen, und je mehr er darüber nachgrübelte, desto mehr beunruhigten sie ihn.
In jener Nacht war ihm auch etwas anderes klar geworden. Er erinnerte sich daran, daß Mario ihm einmal vorgeworfen hatte, sich nur deshalb in Saviya verliebt zu haben, weil sie die erste Frau gewesen sei, die entgegenkommend genug gewesen wäre, um ihn von der Vorstellung zu befreien, er sei zum Zölibat verurteilt.
In dieser Beziehung hatte Mario unrecht. Die Sehnsucht nach Saviya war durch die Nacht in der Schenke eher noch schlimmer geworden, nicht schwächer. Aber Saviya hatte ihn offensichtlich auch frei gemacht für jede Art von Begierde. Zu seiner
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