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Die Puppenspieler

Die Puppenspieler

Titel: Die Puppenspieler Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tanja Kinkel
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zweiten Mal seit seiner Ankunft hatte er Ursula nicht als Verwandte, sondern als Frau wahrgenommen, und ein Hunger war in ihm wachgeworden, den er sich nicht erklären konnte.
    Er hatte Ursula immer gern gehabt, gewiß, und hatte sie auch jetzt sehr gerne, aber er liebte sie nicht. Trotzdem war er eben nahe daran gewesen, sie zu küssen; ja, mehr noch, er hatte sich gewünscht, mit ihr das Bett zu teilen. Stundenlang wanderte er ruhelos durch Augsburg. Er hoffte, daß ihm der kühle Herbstabend bald derartig absurde Vorstellungen aus dem Kopf vertreiben würde, und mußte feststellen, daß er sich im Gegenteil immer mehr mit Ursulas wohlgeformtem Körper beschäftigte, mit Erinnerungen an seine glücklosen Begegnungen mit der üppigen Magd Barbara, und als er sogar Saviya nicht mehr zurückdrängen konnte, nicht Saviya als Person, sondern als Frau, die er geliebt und begehrt hatte, entschloß er sich, in der nächsten Schenke einzukehren.
    Wo die Kälte nicht half, würde vielleicht ein Rausch Ablenkung schaffen. Er hatte sich noch nie absichtlich betrunken, doch dieser Abend war so gut wie jeder andere, um es einmal zu versuchen.
    Der Wirt, sehr viel erfahrener als Richard, erkannte bald, was ihm fehlte, und gab einem der Mädchen, die bei ihm arbeiteten, ein Zeichen. Sie nickte und setzte sich rasch zu Richard, der verschlossen in seinen abgegriffenen Holzbecher mit Wein starrte. Er merkte erst, daß jemand neben ihm saß, als sie sich räusperte und fragte: »Gebt Ihr mir auch etwas davon ab? Es ist so kalt heute!«
    Es war mitnichten kalt in der dunstigen Schenke mit ihren Gerüchen nach Gebratenem, nach verspritztem Fett und verbranntem Holz, nach Wein und Bier und den Besuchern, die mit dem fortschreitenden Abend immer zahlreicher wurden, doch Richard schob ihr bereitwillig seinen Becher hinüber. Während sie trank, sah er sie sich an.
    Ihr Mund war etwas zu rot und ihr Busen etwas zu hochgeschnürt, aber ansonsten ließ nichts an ihr darauf schließen, daß sie in einer Taverne arbeitete. Das sanft gerundete Gesicht mit den blaugrünen Augen war noch unverbraucht, das flachsfarbene Haar fühlte sich weich an, als er zögernd darüber strich. Der Krug auf dem Tisch war bereits zur Hälfte geleert; auf diese Weise war er gelöst genug, um seine gewöhnliche Zurückhaltung zu verlieren, aber noch nicht betrunken genug, um nicht zu begreifen, warum sie sich neben ihn gesetzt hatte.
    Er sagte ihr, sie sei sehr hübsch, und sie meinte, er sei sehr freundlich. Viele Männer hielten sie ihrer Augen wegen für gefährlich, denn Grün gelte als Unglücksfarbe, leider. Aber ihm mache es doch nichts aus, oder?
    »Nein«, entgegnete Richard und goß sich noch etwas Wein ein, den er sofort auf einen Zug hinunterkippte, »es macht mir nichts aus.«
    Sie merkte sofort, daß sie etwas falsch gemacht hatte, und wechselte das Thema. Er wirkte so fremdländisch mit seinem dunklen Haar, den Augen und der gebräunten Haut, meinte sie; gehöre er vielleicht zu den vielen reisenden Kaufleuten, die nach Augsburg kämen?
    »Genau das bin ich. Ein Reisender.« Er stellte fest, daß der Krug leer war, und rief nach einem neuen. Woher er denn komme, wollte sie wissen. »Italien. Florenz«, murmelte Richard, »die Blume der Hölle.«
    »Dann vergiß Italien«, sagte sie energisch und fügte ein wenig heiser hinzu, wenn er vergessen wolle, könne sie ihm mehr bieten als der Wein. Er versicherte ihr mit dem tiefen Ernst eines Betrunkenen, das glaube er ihr, doch er suche nicht nur Vergessen, sondern Absolution.
    »Dieser Wein ist mein Blut«, sagte er, und sie kicherte ein wenig unsicher. Sie sei ja an Gotteslästerungen gewöhnt in dieser Schenke, aber ihm wäre doch die ungewöhnlichste gelungen, die sie je …
    »Absolution«, sagte Richard und stellte fest, daß er Schwierigkeiten hatte, das Wort noch klar auszusprechen. »Ich habe … habe alles falsch gemacht. Meine Schuld. In Wandlingen. Bei Saviya. Bei Mario. Meine Schuld.«
    Nun war sie doch ein wenig ungehalten; er sah nicht nur gut, sondern auch zahlungskräftig aus, aber sie wollte nicht die ganze Nacht an diesem Tisch verschwenden.
    »Wenn du Absolution willst, dann geh zu einem Priester oder, noch besser, kauf dir einen Ablaß«, riet sie ihm ungnädig. Zu ihrem Erstaunen setzte er sich plötzlich aufrecht hin. Einige Sekunden lang rührte er sich nicht, dann zog er sie an sich und küßte sie hungrig.
    »Was hast du denn auf einmal?« fragte sie atemlos, als er sie wieder

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