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Die Puppenspieler

Die Puppenspieler

Titel: Die Puppenspieler Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tanja Kinkel
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ihnen vertraut und sich einsperren lassen! Wäre er frei, könnte er ein Pferd stehlen und seine Mutter auf ihrem Gang zum Scheiterhaufen entführen … könnte …
    Es würgte ihn, und er rannte zur Tür, hämmerte mit beiden Fäusten dagegen. »Laßt mich raus! Laßt mich hier raus!« Niemand kam, und schließlich sank er zu Boden. Mit einer Art dumpfer Verwunderung bemerkte er, daß er sich die Knöchel an dem harten Eichenholz blutig geschlagen hatte und es nicht im geringsten spürte.
    Das Blut erinnerte ihn an das, was er bisher versucht hatte, zu verdrängen – die Folter. Folter. Wie sehr hatten sie sie gefoltert, bis sie gestanden hatte? Was hatten sie ihr angetan?
    Er schlug die Arme um die Knie und begann unbewußt, auf und ab zu schaukeln. Warum? Warum? Ich muß den Grund verstehen, dann finde ich einen Weg. Wie konnte auch nur einer von ihnen glauben, daß sie eine Hexe war? Woher kam dieser Haß? Seine Mutter war nicht gerade die beliebteste Bürgerin Wandlingens gewesen, aber sicher eine der meistgeachteten und bestimmt eine derjenigen, die man am meisten brauchte.
    Lag es nur daran, wie Bruder Albert sagte, daß sie eine Fremde war und die Menschen in Zeiten der Not ein Opfer für ihr Elend brauchten? Oder glaubten sie wirklich alle an Hexen? »Aber es gibt keine Hexen!« sagte Richard laut.
    Eine spöttische innere Stimme antwortete: Das glaubst du, genau, wie sie das Gegenteil behaupten, aber du kannst es nicht beweisen. Wie willst du sicher sein? Er dachte daran, was Bruder Albert gesagt hatte: Niemand kann beweisen, daß es keine Hexen gibt.
    »Zur Hölle damit!« Er begann wieder, auf das unnachgiebige Holz einzuhämmern. »Es ist nicht wahr, es ist einfach nicht wahr, laßt mich raus, laßt mich raus!« Es dauerte sehr lange, bis er sogar das Schreien aufgegeben hatte.
    Es war ein klarer Tag im Mai, nicht verregnet, wie Bruder Albert gedacht hatte, aber auch nicht sonnig. Der fahle Himmel glich frisch gewaschenem Leinen, und hin und wieder kam ein Wind auf, der die Röcke der Bürgerinnen und die Umhänge der Männer umherwirbelte. Der Marktplatz war voller Menschen.
    Sogar einige der Bauern aus den Dörfern in der weiteren Umgebung waren gekommen, und niemand wußte, ob sie nicht bleiben würden, denn die Städte übten eine unwiderstehliche Anziehungskraft auf die Landbevölkerung aus.
    Ein Bauer, der seinen Acker bearbeitete, war nur ein Leibeigener des adeligen Herrn, in dessen Lehen er lebte, und die Bürger der Städte wichen den ausgemergelten, schmutzigen Gestalten, die sich jetzt zum Pranger drängten, hastig aus.
    Wahrscheinlich floß auch in ihren Adern das Blut eines Großvaters oder einer Mutter, die sich noch auf der Scholle abgerackert hatten, doch jetzt waren sie Bürger, die sich selbst ihren Stadtrat wählten, jetzt konnten sie sich sogar, waren sie nur fleißig genug, ein bescheidenes Vermögen und Ansehen unter ihren Mitbürgern erarbeiten. Sie konnten ihre Kinder in die Klöster schicken, um sie das Wissen lernen zu lassen, das in der Vergangenheit dem Adel vorbehalten war. Die Handwerker konnten innerhalb ihrer Zünfte aufsteigen, und wenn ihnen ein Unrecht geschah, so gab es das strenge Zunftgesetz und die Zunftmeister.
    Der Anblick der Bauern, die der Willkür der hohen Herren ganz und gar ausgeliefert waren, ohne jeden Vermittler oder Helfer, erinnerte einzelne unbehaglich daran, was sie selbst noch vor ein paar Generationen gewesen. Nein, sie zogen es vor, sich von den Bauern fernzuhalten, zumindest, bis diese der Anziehungskraft der freien Städte erlegen und selbst zu Bürgern geworden waren.
    Doch Bauern wie Bürger einte die Neugier, eine Hexe brennen zu sehen. Eine Hexe hatte es schon lange nicht mehr gegeben, und nur die Ältesten oder Weitgereisten waren jetzt in der Lage, sich die Zeit damit zu verkürzen, von einer ähnlichen Verbrennung zu erzählen. Huren, Diebe oder sonstige Übeltäter, die an den Pranger gestellt wurden, gab es öfter zu sehen, und wenn sich auch immer Zuschauer fanden, so war der Marktplatz von Wandlingen doch nie zuvor so voll gewesen.
    Die Wandlinger hatten allerdings den Vorteil, ein wenig mehr über die Hexe zu wissen. Sie kannten sie. Nun, es hatte lange gedauert, bis ihre Hexerei offenbar wurde, und die Erinnerung daran, daß sie ihr einmal vertraut hatten, soweit vertraut, daß man sie zu fast allen Krankenbetten geholt hatte, brachte die Stadtbewohner nur noch mehr auf. Die ganze Zeit hatte sie ihre Hexenkünste praktiziert! Wie

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