Die Puppenspieler
sonst hatten sie überhaupt Vertrauen zu ihr fassen können, zu ihr, einer Sarazenin, einer Fremden?
Nun hatte sich das Mißtrauen wie eine schwärende Krankheit unter ihnen ausgebreitet, und irgendwie schien es auch die Schuld der Hexe zu sein, daß man seinem Nachbarn nicht mehr ins Gesicht blicken konnte, ohne finstere Vermutungen zu hegen.
Es war schwierig genug, sich bis in die ersten Reihen vorzudrängen, insbesondere, da fast das gesamte Kloster dort anwesend war. Die Mönche sahen blaß und bedrückt aus. Kein Wunder, dachte mehr als ein Wandlinger schadenfroh, denn in wenigen Tagen würde ein weiterer Scheiterhaufen mit einem Mönch brennen. Vielleicht hätten sich auch noch mehr Hexen und Hexer gefunden, doch das Gerücht verbreitete sich bereits, daß der Inquisitor, der neben dem Erzbischof stand, nach der Verbrennung des Mönchs abreisen würde.
Nun, auch nach seiner Abreise konnte es zu Anzeigen kommen, denn er hatte selbst gesagt, daß nicht nur die heilige Inquisition, sondern auch ein Bischof und ein Richter einen Hexenprozeß abwickeln konnten.
Am anderen Ende des Platzes lag das Stadtgefängnis, und an dem Hälserecken und den Ausrufen derjenigen, die ihm am nächsten standen, merkte die Menge, daß man sie jetzt endlich hierherbrachte. Die Fremde, die Unholdin, die Hexe. Die Rufe verwandelten sich bald in ein enttäuschtes Zischen.
Was da kam, sah nicht im geringsten dämonisch aus. In der Tat war es schwer zu erkennen, daß es sich überhaupt um eine Frau handelte. Das Haar, dessen Farbe nicht mehr zu bestimmen war, war ganz kurz geschnitten, und das weite, weiße Hemd aus rauhem Sackleinen, das die zum Scheiterhaufen Verurteilten gewöhnlich zu tragen hatten, reichte bis auf die bloßen Füße.
Die Hexe hätte allein gehen sollen, doch schon nach wenigen Schritten stolperte sie und stürzte zu Boden. Einer der Büttel stützte sie schließlich, und sie ging weiter. Ihre rechte Hand war von einem dicken Verband umhüllt, der an vielen Stellen von Blut durchtränkt war.
»Man wird ihr die Daumenschrauben angelegt haben«, murmelte ein Mann, der ziemlich weit vorne in der Gasse stand, die die Leute der Hexe bahnten. Es dauerte jedoch lange, bis sie den Holzhaufen erreichte.
Der Abt, der anders als viele Anwesende schon Verbrennungen erlebt hatte, fühlte sich flüchtig an die Passionsspiele erinnert. Seltsam, die meisten zu Tode Verurteilten blieben unnatürlich lange ruhig, bevor der Zusammenbruch kam, der Moment, in dem sie begannen, zu schreien. Während der Richter langsam nochmals das Urteil vorlas und die Büttel darangingen, Zobeida an den Pfahl in der Mitte des Scheiterhaufens zu binden, blickte er auf den Jungen, der neben ihm stand.
In einer Hinsicht hatte er sich unnötig Sorgen gemacht. Der Inquisitor interessierte sich nicht sonderlich für Kinder. Doch der Abt war durch das starre Schweigen des Jungen beunruhigter, als er es durch Wutanfälle oder Tränenausbrüche hätte sein können. Seit dem Tag, an dem der Inquisitor ihn gesehen hatte, war Richard verstummt. Der Abt warf einen schnellen Blick zu Bruder Albert hinüber.
Beide hatten sie Richard an jenem Tag schreien hören, und in jeder anderen Lage wäre einer von ihnen zu dem Knaben gegangen, um ihn zu trösten. Doch Heinrich Institoris, der noch einige der Mönche vernehmen wollte, war noch nicht außer Hörweite gewesen. Als der Abt Alberts weißes Gesicht sah, zog er ihn beiseite und flüsterte, fast ohne die Lippen zu bewegen: »Nein, mein Sohn.«
»Aber, ehrwürdiger Abt, es ist unser Kloster, nicht das seine, und ich schäme mich ohnehin schon, weil ich Richard mit dieser Nachricht allein gelassen habe.«
»Es ist nicht zu ändern«, in der Stimme des Abtes hatte Trauer und Erbitterung gelegen, »und vielleicht würden wir nur falsche Hoffnungen in dem Jungen wecken. Später, wenn die Inquisition erst fort ist, werden wir alles an dem Kind wiedergutmachen.«
»Wenn er uns noch vertraut.«
Der Abt musterte diesen überaus begabten Schüler, der eine der großen Hoffnungen des Klosters gewesen war. Nur einmal hatte Richard sein Schweigen gebrochen, um zu fragen, ob er seine Mutter noch einmal sehen könne, was ihm verweigert wurde.
Der Abt wußte, daß den Gefolterten immer ein paar Tage Zeit gegeben wurde, damit sie für die Hinrichtung wieder einigermaßen gehfähig waren. Wenn Richard seine Mutter im Stadtgefängnis gesehen hätte, wäre sie erstens kaum in der Lage gewesen, mit ihm zu sprechen, und zweitens
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