Die Puppenspieler
hätte er Zeit genug gehabt, jede einzelne Spur der Folter ganz in sich aufzunehmen. Heute würde das Bild des Scheiterhaufens alles überdecken.
Richards Lippen bewegten sich. Der Abt konnte nicht verstehen, was er sagte, und nach einiger Zeit begriff er, daß Richard überhaupt nicht laut sprach. Der Inquisitor stieg zu der gefesselten Zobeida hinauf und erteilte ihr den Segen. Der Abt flüsterte schnell ein kurzes Gebet.
Er hielt es für grenzenlos falsch, daß der Inquisitor darauf bestanden hatte, Richard die Verbrennung mitansehen zu lassen, doch er wagte nicht, zu widersprechen, nicht mehr. Er würde nicht ein Wort gegen den Inquisitor äußern, bis dieser sich in weiter Entfernung befand. Wenn es nur vorbei ist, sagte er sich immer wieder, wenn es nur einfach vorbei ist, dann wird alles in Ordnung kommen. Es muß einfach so sein.
Von vier Seiten traten nun Büttel heran, die Fackeln in der Hand hielten. Auf ein Zeichen warfen sie sie auf den Scheiterhaufen. In diesem Augenblick rief Zobeida etwas mit einer Stimme, die keiner wiedererkannte, und niemand verstand die Worte, die sie gerufen hatte. In der Menge machte sich ein Raunen breit.
»Sie hat uns verwünscht! Die Hexe hat uns verwünscht!« Dem Inquisitor, der sich eingebildet hatte, sie vollkommen unterjocht zu haben, schwollen die Adern auf der Stirn, und er sollte noch einige Zeit brauchen, um seinen Zorn zu unterdrücken.
Der Abt jedoch hatte sofort, als Zobeida den Mund geöffnet hatte, gewußt, weswegen sie schreien würde, und so schnell reagiert wie noch nie in seinem Leben. Er packte Richard, der sich vorwerfen wollte, und riß ihn zurück. Der Abt war nicht sehr kräftig, und auf ein Zeichen eilte ihm einer seiner Benediktiner zu Hilfe und hielt den Jungen fest.
Durch den unregelmäßigen Wind verbreitete sich das Feuer schnell auf dem gesamten Holzstoß. Das Knistern der Flammen wurde immer lauter, und Zobeida begann wieder zu schreien, diesmal nur noch unartikulierte, schrille Laute des Entsetzens.
In einem Anflug von Mitleid legte der Mönch, der Richard umklammert hielt, ihm die Hand vor Augen. In den beizenden Geruch des brennenden Holzes begann sich nun ein anderer zu mischen. Mit einem Mal verstummten die Schreie.
»Das ist manchmal so«, hörte man den Inquisitor sagen. »Der Rauch und der Schmerz haben sie ohnmächtig gemacht.«
»Gott helfe uns«, murmelte der Abt. »Gott helfe uns allen.«
In der Menge begann nun der Streit darüber, was die Hexe gesagt und welche Verwünschungen sie ausgestoßen hatte. Jeder hatte etwas anderes verstanden. »Ihr Narren, das ist doch ganz einfach«, sagte jemand. »Sie hat den Teufel angerufen!« Schließlich ließ der Bruder, der Zobeidas Sohn festhielt, seine Hand sinken.
Das erste, was Richard sah, war, wie ein Windstoß die Flammen auseinandertrieb, und für einen Moment wurde der zuckende, halbverkohlte Leib einer Frau sichtbar. Dann schloß sich die Feuerwand wieder, und über den Platz wehte der Rauch, der sich süß und widerlich in allen Kleidern festsetzte.
6
I N DEM R AUM , in dem der Abt im April Bruder Ludwig und dessen ungebärdigen Schüler empfangen hatte, hatte sich nichts verändert. Abermals saß der Abt an seinem Schreibtisch, und vor ihm standen ein Mönch und derselbe Junge. Doch diesmal erfüllte das Oberhaupt des Klosters St. Georg zu Wandlingen grenzenlose Bitterkeit.
Die Inquisition war nicht mehr hier, doch die Hexerei hatte in Wandlingen Einzug gehalten, ein Mönch war tot, und der Schüler, den er einmal zu einer Leuchte des Klosters zu machen gehofft hatte, war für immer der heiligen Kirche entfremdet.
In den Wochen, die seit der Verbrennung vergangen waren, hatten sie versucht, Richard wieder unter die Schüler zu mischen, das Leben da wieder aufzunehmen, wo es unterbrochen worden war, und waren vollkommen gescheitert. Während der Schulstunden und im Schlafsaal behandelten ihn seine ehemaligen Kameraden wie einen Aussätzigen, und Richard selbst hätte stumm und taub sein können, nach dem Maß seiner Beteiligung am Unterricht zu schließen. Auch die Nachricht von Bruder Ludwigs Ende hatte ihn nicht aufrütteln können. Am schlimmsten jedoch war die kalte Feindseligkeit, die er mit jeder seiner Gesten verriet.
Sie hatten sich, Bruder Albert allen voran, bemüht, mit ihm zu sprechen, aber Richard war allen Versuchen gegenüber so unempfindlich wie Stein gewesen. Wenn ihn einer seiner Mitschüler verhöhnte, schien er das nicht wahrzunehmen. Das ist kein
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