Die Puppenspieler
Bürgermeister gewesen und auch jetzt noch Hauptmann des Schwäbischen Bundes. Nach dem Tod ihres Bruders war sie die einzige Erbin, wenn auch der Wohlstand ihrer Familie dem Vergleich mit den Fuggern nicht standhielt, und man rühmte in Augsburg ihre Schönheit und Klugheit. Kein anderer als Konrad Pantinger, der Gelehrte, hatte sogar behauptet, mit Sybille zu disputieren, sei ein Genuß.
Alles gut und schön, und Veronika gestand Jakob auch widerwillig zu, durch die Heirat mit der begehrten Sybille die etwas angeschlagene Familienehre gerettet zu haben. Hatte man ihm nicht kurz vorher die Aufnahme in die ›Geschlechterstube‹, dem Sitz aller angesehenen und alteingesessenen Augsburger Sippen, verweigert? Die Augsburger hatten sich weidlich darüber lustig gemacht. Der Enkel eines Webers aus Graben wagte es, sich unter die Patrizier mischen zu wollen? Ulrich hatte noch Wochen nach der Ablehnung über den Augsburger Stadtrat getobt, sogar Georg, der den Handel der Familie mit dem Osten über Nürnberg leitete, hatte ein paar erboste Briefe geschrieben.
Jakob hatte nur kalt gelächelt, blieb bei seinen Begegnungen mit dem Augsburger Stadtrat die Höflichkeit selbst – und verblüffte sie alle mit der Nachricht seiner Verlobung mit Sybille Artzt.
Wenn nur Jakob, dachte Veronika erbost, nicht eine solch offensichtliche Zufriedenheit in der Ehe mit seiner jungen Frau finden würde! Sie hatten alle erwartet, daß er weiterhin seine Reisen machen würde – nie sehr lange, denn er war unentbehrlich –, um den König oder wichtige Handelspartner zu treffen, und im übrigen in seinem Kontor lebte. Veronika war sogar bereit gewesen, die unerfahrene Sybille zu bedauern.
Sie hatten nicht erwartet, daß Jakob Sybille auf seine Reisen mitnähme, daß sie es wagte, in das geheiligte Kontor einzudringen, um ihrem Gemahl gelegentlich Erfrischungen zu bringen und mit ihm zu plaudern, daß sie sich bisweilen sogar mit einem Buch oder einer Näharbeit schweigend zu ihm setzte. Am allererstaunlichsten war jedoch, daß Jakob dieses Verhalten nicht nur duldete, sondern auch noch ermutigte, daß er Sybilles Aufmerksamkeiten, ihre Scherze zu genießen und sogar zu erwidern schien.
Sie hat ihn verhext, dachte Veronika und musterte die anmutige Sybille mit ihrem herbstfarbenen Haar, die sich längst den eben eingetroffenen Neuankömmlingen zugewandt hatte.
Sybille begrüßte Johann Ehrlich, jenen Fuggerschen Kaufmann, dem man ihren Neffen Richard anvertraut hatte. Sowie sie von Zobeidas entsetzlichem Tod gehört hatte, hatte sie beschlossen, Richard zu sich zu nehmen. Sie war zum Zeitpunkt der skandalösen Eheschließung ihres Bruders zu jung gewesen, um sie nicht mit jenen Märchen, Legenden und Romanzen in Verbindung zu bringen, von denen die Spielleute sangen. Wilhelm Artzt und seine Frau hingegen waren erleichtert gewesen, sich nicht um den Sproß einer Heidin kümmern zu müssen.
Niemand in Augsburg brauchte etwas von dem Hexenprozeß zu erfahren. Bestimmt nicht Veronika, dachte Sybille entschlossen, und auch sonst niemand aus der Familie, denn sie wußte, wie wenig Sympathie man ihr, die noch nicht Zeit genug gehabt hatte, sie alle für sich zu gewinnen, entgegenbrachte. Sie wären mit Anschuldigungen schnell bei der Hand.
Jakob hatte sie es natürlich erzählt, als sie ihn gebeten hatte, Richard bei sich aufnehmen zu dürfen. Er war nicht eben begeistert gewesen, doch er hatte eingewilligt, und sie wußte, daß sie von ihm nicht ein Wort über Richards Mutter mehr hören würde.
»Und hier, Frau Sybille, ist Euer Neffe. Ziemlich schweigsam, doch ich darf behaupten, gesund.«
»Seid gegrüßt, Tante«, murmelte der Junge, den ein Gehilfe Ehrlichs dem Kaufmann zugeschoben hatte. Sybille musterte ihn neugierig. Er hatte dieselbe Haarfarbe wie sie, mußte die dichten Augenbrauen von seinem Vater geerbt haben. Doch sonst fand sie nichts von ihrer Familie in ihm wieder. Die Augen, der feingliedrige Knochenbau, der für sein Alter eher kleine Wuchs – das mußte alles von ihr stammen, der Unbekannten. Von Zobeida.
Sybille wußte nicht, ob Zobeida eine Hexe gewesen war. Die heilige Kirche hatte sie als solche verurteilt, und auch die Familie Artzt hatte wohl gelegentlich angenommen, Markus müsse verhext gewesen sein, aber er war ein guter Christ gewesen, und Sybille konnte sich nicht vorstellen, daß er eine Hexe so leidenschaftlich geliebt haben könnte.
Sie merkte plötzlich, daß der Junge sie genauso aufmerksam
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