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Die Puppenspieler

Die Puppenspieler

Titel: Die Puppenspieler Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tanja Kinkel
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über arme Verwandte, Hänsles tölpelhafte Fragen nach seinen Eltern, die er leicht abgewehrt hatte, all das hatte ihm nichts ausgemacht. Warum störte er sich dann an dieser unwichtigen Hänselei?
    Er beschleunigte seinen Schritt und dachte erbost: Der Grund ist wohl, daß ich einfach kein Kind mehr bin. Ich werde bald vierzehn. Und keiner von ihnen weiß es oder kümmert sich darum! Sofort wies er diesen Gedanken als Selbstmitleid von sich und versicherte sich eilig, daß es ihm völlig gleichgültig war, daß niemand sein Geburtsdatum kannte. Eventuelle Aufmerksamkeiten würden nur Bande schaffen, die er gar nicht wollte. Es lag einfach nur daran, daß er kein Kind mehr war, und die rundliche Barbara mit ihren feurigen Blicken, die sie ihm in den letzten Tagen zuwarf, schien es auch zu wissen!
    Bei seiner Ankunft am Rindermarkt hörte er als erstes, daß Jakob schon eingetroffen sei, die Kaufleute mit den florentinischen Waren dagegen noch nicht. Hans Basinger, einer von Jakobs Vettern mütterlicherseits, der sich wie seine ganze Familie dem Goldschmiedehandwerk verschrieben hatte, wartete ebenfalls auf sie.
    »Es sieht den Welschen ähnlich, sich zu verspäten«, murrte er, und Richard verzichtete darauf, Basinger daran zu erinnern, daß es sich um deutsche Kaufleute handelte, die nur im Süden ansässig waren.
    »Ich hatte gehofft, sie bringen Neuigkeiten aus Italien mit«, sagte er resigniert. »Außerdem soll es in Florenz eine neue Art von Schmuck geben, so eine Art Kranz, den die Frauen im Haar tragen, Ghirlanda genannt.«
    Basingers Augen blitzten. »Im Haar? Dann müssen die Hauben aus der Mode gekommen sein. Das bietet ganz neue Möglichkeiten …«
    »So muß es wohl sein«, stimmte Richard zu. »Tante Sybille trägt ihr Haar in der letzten Zeit auch ohne Haube, nur in einem silbernen Haarnetz.«
    Basinger sah nachdenklich drein. »Du erinnerst mich an etwas«, sagte er. »Jakob hat mich schon nach einem Geschenk für seine Gemahlin gefragt, und er möchte immer etwas Besonderes haben. Deine Ghirlanda wäre ganz das Richtige. Glaubst du, du kannst mir beschreiben, wie sie aussieht?«
    Richard nickte und zog aus der kleinen Tasche, die er bei sich trug, ein neues Blatt hervor. »Ich werde es zeichnen.« Mit raschen Strichen skizzierte er eine Ghirlanda, wie er sie sich nach den Beschreibungen des letzten Zugs vorstellte, und weil ihm die Arbeit Spaß machte, fügte er noch ein paar eigene Kleinigkeiten hinzu, von denen er sich vorstellte, daß sie sich gut auf Sybilles Haar ausnehmen würden – winzige Trauben zu den verästelten, ineinander verflochtenen Blättern, kleine Äpfel, doch keine Blumen. Blumen, so erkannte er instinktiv, gehörten zu einer anderen Sorte von Kranz.
    Basinger nahm ihm das Blatt ab und rieb seine Nase. »Gut«, sagte er überrascht, »sehr gut. Hast du so etwas schon öfter gemacht, Richard?«
    Richard schüttelte heftig den Kopf. »Nein.«
    »Das solltest du aber«, bemerkte Basinger und grinste. »Ich würde das gern ausführlicher mit dir besprechen, Junge, aber nicht in diesem staubigen Hof. Die Welschen kommen heute ohnehin nicht mehr, das möchte ich wetten. Und Jakob und Sybille«, sein Grinsen wurde breiter, »haben sich inzwischen zurückgezogen, um tiefsinnige Gespräche miteinander zu führen. Wir haben also fast alle Räume für uns.« Er lachte. »Wer hätte je gedacht, daß Jakob einmal am hellichten Nachmittag – philosophieren würde. Er …«
    Richard unterbrach: »Es tut mir leid, Meister Basinger, aber ich muß zu meinem Lehrer. Ein andermal vielleicht.« Die Röte war ihm ins Gesicht geschossen, und er wandte sich ab, froh, Basinger nicht länger ins Gesicht sehen zu müssen. Was war heute nur mit ihm los? Er hatte doch wahrhaftig schon deutlichere Zoten gehört. Doch er hatte nie in diesem Zusammenhang an Jakob und Sybille gedacht. Sich vorzustellen, wie sie … Er schlug mit seiner zusammengeballten Faust gegen sein Bein, um sich von dem Bild abzulenken. Warum, warum nur in letzter Zeit immer und überall diese Gedanken an das Fleischliche?
    Er hatte Anselm nur als Ausrede gebraucht, doch inzwischen dachte er, daß es keine üble Idee wäre, ihn tatsächlich aufzusuchen und durch ein sachliches Gespräch über die Rhetorik des Cicero etwas Abkühlung zu erhalten. Aber zu seinem Unglück stieß er im Südflügel nicht auf Anselm, sondern auf den Schreiber Norbert Weilheim, der ständig mit den paar Jahren Altersunterschied, die zwischen ihnen lagen,

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