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Die Puppenspieler

Die Puppenspieler

Titel: Die Puppenspieler Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tanja Kinkel
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entschlossen gewesen, daß auch er sie lieben sollte.
    Und sie hatte Erfolg gehabt. Das Leben hier am Rindermarkt mit seinem täglichen Zweikampf mit Veronika, den Sorgen und Überraschungen des immer turbulenten Alltags, war alles andere als bequem und sicher, was ihre Mutter auch denken mochte. Doch einer Sache war sie gewiß: Jakob liebte sie. Er liebte sie, und sie liebte ihn, und wenn es nicht wirklich dringend gewesen wäre, hätte sie sich lieber die Zunge abgebissen, als seinen Schlaf zu stören.
    »Jakob?«
    Er besaß die Fähigkeit, sofort wach zu sein, um die ihn Sybille, wenn sie morgens mit den Nebeln der Schläfrigkeit kämpfte, manchmal beneidete. Er drehte sich zu ihr um und erwiderte sachte ihre Berührung.
    »Was ist, mein Herz?«
    »Jakob, irgend etwas stimmt nicht mit Richard.«
    Er antwortete nicht sofort, und sie seufzte. Richard war trotz aller Höflichkeit, gelegentlichen Freundlichkeiten und trotz allen Lerneifers immer sehr zurückhaltend gewesen, nicht nur ihr gegenüber natürlich, aber wenn sie mit ihm sprach, zeigte sich das am deutlichsten. Denn anders als bei seinen gelegentlichen Begegnungen mit Veronika spürte sie, daß er keine Feindseligkeit gegen sie empfand, und war sich einige Male sogar sicher, daß er sie mochte. Sie hatte sich an seine Zurückhaltung gewöhnt, doch seit Jakobs Rückkehr aus Bamberg war es mehr als das.
    Richard aß so gut wie nichts mehr, lief bleich wie der Tod herum, und wenn er früher alle Reisenden, die hier eintrafen, mit Fragen überfallen hatte, so beschränkte er sich jetzt nur noch auf das Allernötigste. Sybille hatte mit Anselm Justinger gesprochen, doch der junge Lehrer zuckte nur die Achseln.
    »Ja, er hat irgend etwas, aber wer will schon sagen, was es ist? Es kommt doch keiner an ihn heran, Frau Sybille.«
    Sybille, die sich sorgte, weil sie nicht schwanger wurde, und mehr an dem Sohn ihres Bruders hing, als sie sich selbst eingestand, gab sich mit dieser Auskunft nicht zufrieden. Nach einem inneren Zwiespalt entschied sie sich schließlich, mit ihrem Neffen zu reden.
    »Richard, fehlt dir irgend etwas? Kann ich dir helfen?«
    Sie hatte seine Antwort vorausgeahnt: »Nein, danke, Tante«, murmelte er, und sie zweifelte daran, ob er ihr überhaupt zugehört hatte. Mit zusammengezogenen Brauen musterte sie Richard. Er war in diesem Jahr in die Länge geschossen, und die Tatsache, daß er wenig aß, tat ein übriges, um ihn viel zu dünn aussehen zu lassen. Sie zögerte etwas und sagte dann, nicht sicher, ob ihre Vermutung stimmte: »Richard, niemand kann das Schicksal eines anderen auf sich nehmen.«
    Eine Sekunde lang war die unsichtbare Wand, die er zwischen sich und der Welt errichtet hatte, fort. In seinen dunklen Augen erkannte sie Schmerz und Verzweiflung. Dann verdarb sie alles, indem sie ihm tröstend die Hand auf die Stirn legte. Er fuhr zurück und war so unnahbar, als wäre dieser Moment nie gewesen, ja, als wäre das vergangene Jahr nicht gewesen und er gerade erst hier eingetroffen.
    »Ich mache mir Sorgen um ihn«, sagte sie jetzt und erzählte Jakob von ihren fruchtlosen Bemühungen. »Es muß der Tod seiner Mutter sein«, schloß sie, »denn er verhält sich nicht nur mir gegenüber so, sondern bei allen Frauen. Aber ich glaube, daß er«, sie hielt inne, weil sie nicht wußte, wie sie es ausdrücken sollte, »daß er sich aus deiner Meinung etwas macht.«
    »Ich kümmere mich darum«, sagte Jakob und strich ihr eine Haarsträhne aus dem Gesicht. »Ich werde mit ihm sprechen.«
    Sybille, die wußte, daß alle Sorgen des gesamten Unternehmens auf seinen Schultern ruhten, überkam das schlechte Gewissen, ihn auch noch damit belastet zu haben. Sie rückte noch näher, küßte ihn und verlängerte den Kuß, als sie seine Reaktion bemerkte.
    »Ich verstehe Richard nicht«, sagte er und beugte sich über sie, »du bist so wunderbar überzeugend.«
    »Warum erzählst du mir nicht mehr darüber?« flüsterte sie und fand wieder seine Lippen.
    Zu Abend aß die Familie immer gemeinsam, und als Veronika ihren Gemahl abgekämpft an Jakobs Seite erscheinen sah, während sie, ihre Kinder, Sybille und Richard auf die beiden Brüder warteten, wußte sie, daß er wieder mit seinem Bruder gestritten und dabei den kürzeren gezogen hatte. Sie setzte sich steif auf.
    »Ich habe euch allen eine große Neuigkeit zu verkünden«, murmelte Ulrich und wich ihrem Blick aus, »auch wenn sie außerhalb der Familie noch niemand erfahren darf. Ich habe soeben

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