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Die Puppenspieler

Die Puppenspieler

Titel: Die Puppenspieler Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tanja Kinkel
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als einem Jahr hatte er diesen Ausruf in sich unterdrückt, und hätte ihn Jakob nicht so sehr herausgefordert, so hätte er ihn auch diesmal unterdrückt. Doch jetzt hatte er es gesagt, fast geschrien, und ehe er sich zurückhalten konnte, hatte er auch das andere ausgesprochen, das, was er noch nie zu einem Menschen gesagt hatte. »Sie war keine Hexe! Es war alles meine Schuld!« Die Worte waren über seine Lippen gekommen, schienen im Raum nachzuhallen. Schweigen herrschte.
    »Aufschlußreich«, entgegnete Jakob schließlich. »Du glaubst also, was deiner Mutter geschehen ist, wäre deine Schuld, wäre eine Strafe für deine Sünden, wenn du so willst. Nun beantworte mir eine Frage: Wenn deine Mutter keine Hexe war – war sie dann eine gute Frau?«
    Fast unhörbar erwiderte Richard: »Ja, das war sie.«
    »Vielleicht auch eine besondere Frau?«
    Der Zorn, der schon fast niedergebrannt war, kam wieder. »Ja, verdammt!«
    Jakob näherte sich, sein Gesicht nahm klarere Konturen an, und er schaute auf den dunkelhaarigen Jungen herab, der in der letzten Woche vierzehn geworden war, ohne daß irgend jemand außer ihm davon wußte.
    »Wenn sie eine solche Frau war, warum sollte Gott sie dann für deine Sünden strafen? Wenn du glaubst, sie sei deswegen gestorben, weil du gefehlt hast, heißt das nicht, du schätzt deinen Wert sehr hoch und den dieser besonderen Frau so niedrig wie den eines Bauern auf dem Schachbrett, den man nur benutzt? Weißt du, daß du mir reichlich hochmütig vorkommst?«
    Es wirkte wie ein Guß kalten Wassers auf Richard. Er blinzelte und schien Jakob zum ersten Mal klar zu sehen. Doch Jakob war noch nicht fertig.
    »Denkst du, diese Frau hat es nötig, daß du dich ihretwegen jetzt bemühst, so gründlich wie möglich zugrunde zu gehen? Hilft ihr das irgendwie?«
    Ebendies hatte Sybille auch gesagt: »Niemand kann ein anderes Schicksal auf sich nehmen.« Doch diesmal hörte Richard wirklich zu, hörte, als sei Jakob der erste Mensch auf Erden, der wirklich mit ihm sprach.
    Jakob griff mit seinen harten, festen Händen um Richards Schultern. »Welche Mutter könnte stolz sein auf das, was du jetzt bist! Ein wehleidiges, jammerndes Nichts, das sich etwas darauf einbildet, seine Umgebung so tief wie möglich zu kränken.«
    Richard wußte, daß Jakob dies nicht auf sich selbst bezog. Sybille, Anselm, vielleicht sogar der oberflächliche Hänsle – sie hatten sich alle um seine Zuneigung bemüht, und wie hatte er es ihnen gelohnt.
    »Keine«, sagte er, schluckte und straffte sich. Er bejahte mehr als nur Jakobs Vorwürfe, und sie wußten es beide. Seine Stimme klang wieder gelassen, als er hinzufügte: »Ihr habt vollkommen recht – Onkel.«
    Jakob ließ ihn los. Auch seine Stimme klang so ruhig wie gewöhnlich, als er sagte: »Eine Frage noch: warum jetzt? Warum erst nach einem Jahr?«
    Richard wollte sich abwenden, aber die Bernsteinaugen hielten ihn fest. Dies war das Fegefeuer, durch das er hindurchmußte. Doch er konnte Jakob nicht die ganze Wahrheit sagen, und so begnügte er sich mit Halbwahrheiten, genug, um ihn zufriedenzustellen.
    »Vor ein par Wochen …« Er stockte. »Es war fast derselbe Tag«, sagte er, verwundert, weil er den Zusammenhang nicht früher deutlicher erkannt hatte. »Nicht der Tag, an dem sie … an dem sie verbrannt wurde, aber der, an dem ich das letzte Mal mit ihr gesprochen habe.«
    Er widerstand noch einmal dem Impuls, jetzt davonzulaufen, und log Jakob Fugger zum ersten Mal bewußt an.
    »Ich erinnerte mich, und um es zu vergessen, versuchte ich, mit einer Magd … Es hat nicht geklappt, und mir wurde übel, und danach wollte ich sterben«, vollendete er mit genügend Beschämung in der Stimme, um Jakob seine Halbwahrheit glauben zu lassen. Es erschien so logisch – die Suche nach dem Vergessen mit einer Frau, und die Scham über sein Versagen. Nur Richard wußte, wußte mit einer brennenden Deutlichkeit, daß er eben kein Vergessen gesucht hatte. Er hatte an jenem Tag mit einer Ausschließlichkeit, die ihm eigentlich vollkommen unmöglich erschien, völlig verdrängt, was sich da jährte. Erst als Barbara ihn berührte … Wieder wallten Übelkeit und Entsetzen in ihm auf, doch diesmal konnte er es zurückdrängen.
    Jakob fragte nichts weiter. Es war offensichtlich, was zu Richards Verhalten in den letzten Wochen geführt hatte – die Reaktion auf den Tod seiner Mutter, die durch die Verspätung nur noch heftiger geworden war, und das Erlebnis mit der Magd,

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