Die Puppenspieler
das jedem Jungen in jedem Fall zu schaffen gemacht hätte.
Über Richards Kopf hinweg sagte er in die Dunkelheit hinein: »Ich werde dir etwas erzählen, Richard, und nur ein einziges Mal, denn ich erwarte von dir, daß du dich bei unserer nächsten Schachpartie auf das rein Sachliche beschränkst. Mir passierte genau dasselbe, als ich zum ersten Mal versuchte, bei einer venezianischen Dirne zu liegen, und ich war damals schon fast zwanzig Jahre alt.«
Richard unterdrückte nur mühsam ein Luftschnappen. Von allen Dingen, die Jakob ihm hätte sagen können, war dies das letzte gewesen, was er erwartet hätte – weniger die Sache an sich als Jakobs Bereitwilligkeit, sie ihm zu erzählen, entwaffnete ihn völlig. Er wußte nicht, was er darauf erwidern konnte. Er wollte sich bei Jakob für all die Beleidigungen entschuldigen, doch ehe er den Mund aufmachte, begriff er, daß Jakob nichts weniger wollte. Es war vergessen.
»Gehen wir«, sagte er schließlich.
Ebenso schweigend, wie sie hierhergekommen waren, kehrten sie zur abendlichen Tafel zurück. Richard warf Jakob von Zeit zu Zeit einen Seitenblick zu. Er wußte, und Jakob wußte es, daß er sich von nun an mehr denn je bemühen würde, genau das und noch mehr zu tun, was Jakob von ihm erwartete. In Richard kämpften Dankbarkeit, Bewunderung, Zuneigung und ein gewisser Groll, weil Jakob ihn so genau kannte, die Fäden gekannt hatte, an denen er ziehen mußte, um ihm aus seiner selbstzerstörerischen Stimmung herauszuhelfen.
Endlich, kurz bevor sie sich wieder zu den anderen gesellten, sagte er leise: »Jakob Fugger, Ihr seid der großartigste Puppenspieler der Welt.«
Einen Moment lang spürte er Jakobs Hand auf seiner Schulter. »Ich weiß.«
10
E INEN K ÖNIG ZU BEWIRTEN , der beinahe ein Kaiser war, bedeutete monatelange Vorbereitungen, und Sybille fand kaum Zeit für die Besucher, die in Scharen kamen, um sie auszufragen, seit bekannt geworden war, daß König Max Augsburg besuchen und bei niemand anderem als den Gebrüdern Fugger wohnen würde. Diesen Teil des gesellschaftlichen Lebens überließ sie ohnehin lieber Veronika, die es genoß, im Mittelpunkt des aufgeregten Klatsches zu stehen.
Man wußte, daß der König bei Jakob Fugger hoch verschuldet war, doch das war kein Grund, warum er sich gerade für diese Unterkunft entscheiden sollte.
Der König stieg bei den Fuggern ab, den Enkelsöhnen eines Webers aus Graben am Lech, der nur das Glück gehabt hatte, die Tochter seines Augsburger Zunftmeisters zu heiraten! Anton Welser war nur einer der vielen, die über die Entscheidung Maximilians verärgert waren. Würde es jetzt nicht heißen: Die Geschlechterstube von Augsburg wollte den Fugger nicht aufnehmen, aber der König war sich nicht zu schade, bei ihm zu wohnen?
Das einzige, was das gekränkte Stadtpatriziat tun konnte, war, bedeutungsvoll auf den Vetter Lukas hinzuweisen, einen Fugger, der auch oft in Maximilians Gesellschaft zu finden gewesen war, wenn er auch nie die Ehre gehabt hatte, ihn bei sich empfangen zu dürfen.
»Warum läßt du dich nicht einfach zum Grafen ernennen?« fragte Sybille Jakob am Ende eines erschöpfenden Tages. »Vielleicht brächte das die Klatschmäuler zum Schweigen!«
Jakob lachte. »Sie würden tuscheln, selbst wenn mich Maximilian zum Herzog machen würde. Dann bliebe ich doch immer noch der Enkel eines Webers aus Graben. Wärst du gern Gräfin, Sybille?«
Sybille überlegte. Wäre sie in einem Herzogtum oder in einem Fürstbistum aufgewachsen, so hätte sie mit der Antwort nicht gezögert. Ein Adelstitel gab dort Sicherheit, wie sie ein einfacher Bürger niemals haben konnte. Doch sie war in Augsburg groß geworden, einer freien Reichsstadt, die von stolzen Bürgern regiert wurde. Daß im Augenblick der Glanz der Majestät blendete, war etwas anderes. Aber für immer adelig unter stolzen freien Bürgern sein?
»Nein«, entschied sie schließlich.
Zufrieden schloß Jakob sie in die Arme. »Meine kluge Sybille! Ich muß zugeben, ich habe darüber nachgedacht. Es hätte gewisse Vorteile. Aber Vetter Lukas ist mir eine Warnung. Ich weiß, daß ich nicht überheblich würde, doch wie lange würden das Familienvermögen und das Unternehmen florieren, wenn meine Nachkommen das Gebaren des Adels annähmen? Denn es steht nun einmal fest«, er zuckte die Achseln, »Adelige sind Verschwender.«
Sybille versuchte, nicht den Stich zu empfinden, den ihr das Wort ›Nachkommen‹ versetzt hatte. Schließlich empfingen
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