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Die Puppenspieler

Die Puppenspieler

Titel: Die Puppenspieler Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tanja Kinkel
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verlassen.
    Nach den Vorrunden kam der Höhepunkt des Turniers; Maximilian trat in die Schranken. Er war sehr stolz darauf, als bester Recke zu gelten, und forderte jeden ausländischen Gast an seinem Hof zum Waffengang auf, um sein Können erneut zu beweisen.
    Sybille vermutete allerdings, daß kein Höfling, und wurde er auch noch so eindringlich aufgefordert, keine Rücksicht walten zu lassen, es wagen würde, seinen Herrscher zu besiegen – nicht, daß Maximilian das nie zugestoßen war; er wurde gelegentlich sehr wohl besiegt, doch nicht oft genug, um seinen Ruf als erster Turnierkämpfer des Reiches in Frage zu stellen. Es gab keinen Zweifel darüber, daß Maximilian unerbittlich seine Turnierkünste übte, während seine Untertanen nur mehr wenig Interesse an dieser Art des Kräftemessens hatten.
    »Die Zeit für Turniere ist vorbei«, hatte Jakob gesagt.
    Sybille fand die Weise, in welcher der König an der Vergangenheit hing, bewegend. Sie mußte sich immer wieder ins Gedächtnis rufen, daß sie einen Mann beobachtete, der nicht zögerte, zur Befriedigung seines Ehrgeizes Krieg zu führen, und von dem ihr Gemahl gesagt hatte: »Ich traue ihm nicht, und er traut mir nicht.«
    Doch während Maximilian hochmütig gegenüber anderen Herrschern und Adeligen auftrat, war er zu seinen bürgerlichen Untertanen durchwegs freundlich und nicht im geringsten gönnerhaft. Er hatte zahlreiche Geliebte, und Sybille hatte nie gehört, daß er eine Frau schlecht behandelt hätte, wenn er ihrer überdrüssig war, wie es so viele hohe Herren taten. Jedes seiner Bastardkinder erkannte er an.
    Doch es fehlte ihm, dachte Sybille, während sie beobachtete, wie er unter dem Beifall der Menge seine Gegner besiegte, jene Eigenschaft, die Jakob besaß: die Fähigkeit, seiner Umgebung Ehrfurcht einzuflößen und sie durch bloße Willensstärke zu beherrschen.
    Sie erinnerte sich an ein Gespräch mit Richard vor ein paar Tagen.
    »Es gibt Menschen … und es gibt besondere Menschen«, hatte Richard gemeint, »Menschen, die man nicht vergessen kann. Wißt Ihr, Tante, das muß nicht mit Schönheit oder Klugheit zusammenhängen … Es kann auch jemand sein, der wahnsinnig ist. Aber wenn ich lese, daß jemand etwas Bestimmtes gesagt oder getan hat, dann ist es plötzlich, als würde ich ihn kennen, und dieser Mensch ist dann besonders für mich.«
    Sybille verstand nun, worauf er hinausgewollt hatte. Maximilian war ein Mensch mit Fehlern und Vorzügen, den man … vergessen konnte. Sie lächelte über sich selbst. Was für eine Majestätsbeleidigung – und wie ungerecht König Max gegenüber, der sie so ausgezeichnet hatte. Sie verdoppelte ihren Applaus. Wo befand sich eigentlich Richard? Will hatte ihr berichtet, daß er sofort seine Kammer angeboten hatte, um einen tobsüchtigen Grafen zu besänftigen. Nach einigem Suchen stellte sie fest, daß er sich mit Ursula, Hänsle und Johannes unter den Zuschauern direkt hinter der Abschirmung befand.
    Wie gut war es doch, daß Veronikas Kinder keinen Groll gegen ihren Neffen hegten. Sie wußte, was es bedeutete, von einer großen Familie als Außenseiter angesehen zu werden. Sybille hatte sich unaufhörlich bemüht, von den Fuggern akzeptiert zu werden, wenngleich nicht durch Demut und Schüchternheit. Schließlich war sie eine Artzt, keine Bettlerin, die Jakob auf der Straße aufgelesen hatte. Und obwohl sie, bis auf Veronika, schließlich die meisten Familienmitglieder für sich gewonnen hatte, war ihr Richards Ankunft als ein Geschenk des Himmels erschienen. Sie war nicht länger allein, jemand aus ihrer eigenen Familie würde bei ihr sein und Teil dieser neuen Familie werden.
    Sie hatte wenig von Richards Vergangenheit preisgegeben. Er sollte nicht den Ruf des armen Waisen bekommen, der auf Wohltätigkeit angewiesen war. Daher hatte sie heimlich begonnen, ihre Eltern zu bearbeiten, damit diese ihren einzigen Enkel in ihr Testament einsetzten. Am Anfang erwähnte sie Richard überhaupt nicht, dann ließ sie allmählich Bemerkungen über seinen Lerneifer, sein Gedächtnis, seinen Fleiß und dergleichen in das Gespräch einfließen, wenn sie ihre Eltern besuchte. Es würde sich alles regeln, mit etwas Glück … Sie lehnte sich zurück und ärgerte Veronika mit einem strahlenden Lächeln. Das Leben war wundervoll.
    Richard war anderer Ansicht, als er erhitzt, staubig und begeistert von dem Turnier zurückkehrte und mit geheimnisvollen Gesten von Barbara beiseite gezogen wurde. Sie führte ihn

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