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Die Puppenspieler

Die Puppenspieler

Titel: Die Puppenspieler Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tanja Kinkel
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Zeit, und mehr als einmal warf ein Mitglied der Familie Fugger einen verwunderten Blick in ihre Richtung. Wer hätte gedacht, daß der Fremde so lebhaft werden könnte?
    »Ah«, sagte György schließlich und schlug Richard auf die Schulter, »Bruder, du verstehst es, einem die Seele zu halten. Du mußt nach Ungarn kommen und mich besuchen. Wir werden zusammen Stierblut trinken und …«
    »Wie bitte?« fragte Richard verblüfft. »Stierblut?«
    »Der beste Wein in ganz Ungarn, mein Freund.«
    »Und was bedeutet ›die Seele halten‹?« forschte Richard. Der Ausdruck faszinierte ihn.
    »Ah, das kann man nicht übersetzen, nicht in diese Sprache voller Umständlichkeit. Die Seele halten … Wenn jemand dabei ist, zu toben über Unabänderliches und töricht redet und trinkt, so wie ich, und dann kommt jemand, so wie du, und hält ihm die Seele … nun, dann tut er es eben.«
    »Jemanden aufmuntern?« schlug Richard vor.
    György schüttelte den Kopf. »Nein, nein, mehr … Ah, da kommt meine Braut.«
    Annas Gesicht ließ keine Tränenspuren mehr erkennen, als sie den Raum betrat, und wenn sie unglücklich war, so konnte man es ihr nicht anmerken. Sie trug schließlich doch das blaue Gewand, mit zahlreichen Silberfäden bestickt und modisch geschlitzten Ärmeln, aus denen goldener Brokat hervorlugte, und den etwas altmodischen Kopfputz, der für diesen Abend vorgesehen gewesen war, denn letztendlich hatte ihre Mutter entschieden, daß nichts schlimmer war, als Sybille verpflichtet zu sein.
    Richard begriff nicht, was Veronika an diesem Kleid auszusetzen gehabt hatte. Anna war keine Schönheit und hatte das ein wenig derbe, resolute Gesicht ihrer Großmutter, der geschäftstüchtigen Barbara Basinger, die nach dem Tod ihres Gemahls das Unternehmen geführt hatte, bis Ulrich alt genug dazu war. Doch das Blau des Kleides fand sich in ihren Augen wieder und schmeichelte ihrem blonden Haar, und der Schnitt betonte ihre schlanke Taille. Das sanfte Licht der Fackeln und Kerzen warf vorteilhafte Schatten auf sie, verwischte die kräftigeren Linien und ließ sie hübsch und noch jünger erscheinen, als sie ohnehin war. Richard stieß Thurzo an.
    »Also dann, György« – sie hatten sich inzwischen endgültig auf das freundschaftliche Du geeinigt – »geh und halte ihr die Seele!«
    Auch György Thurzo gab eine stattliche Erscheinung ab, wie er da, ganz in Weinrot gekleidet, neben Anna stand und mit ihr ein feierliches Heiratsversprechen austauschte. Aber Richard blickte auf den König, als sähe er ihn zum ersten Mal, noch immer gefangen in dem seltsamen Gefühl, einen Spiegel von der anderen Seite zu betrachten. Er erinnerte sich an das Weihnachtsfest im letzten Jahr, als er zum ersten Mal seine Schlußfolgerungen laut ausgesprochen hatte. »Die ungarischen Erzvorkommen!«
    Über Maximilians Ehrgeiz und Jakobs Geschäftspläne zu spekulieren, war ein aufregendes, ein wenig gefährliches Denkspiel gewesen. Aber er hatte nie versucht, sich in die Ungarn hineinzuversetzen. Die Ungarn, die nun vor der Aussicht standen, entweder von den Türken erobert oder nach dem Tod Wladislaws von Maximilian annektiert zu werden …
    Und Györgys Vater, Johann oder Janos Thurzo (er konnte sich nicht an die verdrehte Stellung von Tauf- und Familiennamen gewöhnen), war bestimmt ein vorausblickender Mann, der sich auf die neuen Verhältnisse einrichtete, sonst hätte er sich nicht mit Jakob Fugger verbündet. Wenn schon György Thurzo, erzogen im Geist seines Vaters, so über die Ereignisse dachte – wie mußten dann die Gefühle der anderen Ungarn sein?
    Er spürte eine leichte Berührung an der Schulter und drehte sich um. Sybille stand hinter ihm und fragte ihn lächelnd: »Möchtest du nicht lernen, wie man tanzt, Richard? Du solltest heute abend nämlich wirklich einmal Anna auffordern, selbst der kleine Johannes hat das vor.«
    »Es ist nicht sehr freundlich«, erwiderte Richard mit einer Grimasse, »einen so zu überrumpeln, Tante. Ihr zwingt mich, meine Unkenntnis zuzugeben, und gebt mir keine Möglichkeit, zu protestieren.«
    Sybille lachte. »Warum solltest du auch? Es ist ganz einfach, Richard, und du hast schon den ganzen Abend lang zugesehen.«
    Sie hoffte, es nicht falsch angefangen zu haben und vertraute darauf, daß seine Abneigung gegen jede körperliche Berührung nachgelassen hatte. Richard folgte ihr ohne weiteren Widerspruch, ließ sich die notwendigen Schritte der komplizierteren Figuren erklären, und sie atmete

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