Die purpurnen Flüsse
Sargdecke l z u öffnen . Nac h un d nac h lockert e sic h die Holzplatte . Endlic h hatt e e r di e letzt e Schraub e herausgedreh t und scho b de n Decke l beiseite . Mi t seine m nasse n Ärme l fuh r e r sich übe r di e Augen , starrt e i n de n Sar g un d macht e sic h au f einen grausige n Anblic k gefaßt . Abe r de r Sar g enthiel t kei n Kinderskelett. E r wa r auc h nich t lee r – ebensoweni g wi e e r di e Spure n einer Grabschändun g aufwies . Sonder n e r wa r bi s zu m Ran d mi t winzigen, scharfkantige n Knoche n angefüllt . Ei n Massengra b fü r Nagetiere. Tausend e ausgetrocknete r Skelette . Länglich e Schäde l mi t spitzen, scharfzahnige n Schnauzen , schmal e Brustkörbe , geschlosse n wie Krallen . Unzählig e streichholzdünn e Schenkel- , Schienbein-, Armknochen.
Kari m wa r sprachlos . A n de n Ran d de s Sarg s geklammert , streckte e r ein e Han d nac h de n Knoche n aus , di e i m grelle n Lich t seiner Lamp e wi e Überrest e au s vorgeschichtliche r Zei t aussahen.
I n de m Momen t übertönt e hinte r ih m ein e Stimm e da s Prassel n des Regens : »D u hättes t nich t zurückkomme n sollen , Karim. « Er braucht e sic h nich t umzudrehen , u m z u wissen , we r d a sprach . Er ballt e di e Fäust e un d murmelt e mi t gesenkte m Kop f i n di e Knochen:
»Crozier , sage n Si e jetz t blo ß nicht , da ß Si e auc h i n de r Geschichte drinstecken …«
»Ic h hätt e di r diese n Fal l ni e anvertraue n dürfen« , fuh r di e Stimme fort.
Kari m war f eine n Blic k zu r Tür : I m Eingan g de r Gruf t zeichnete sic h deutlic h di e Silhouett e vo n Henr i Crozie r ab . E r hiel t einen Manhurin , Model l M R 73 , i n de r Han d – di e Waffe , di e auch Niéman s trug . Sech s Kugel n i n de r Trommel , Schnellade r i n der Tasche . Ei n paa r Sekunden , u m di e Geschoßhülse n auszuwerfe n und nachzuladen , ohn e Gefah r eine r Ladehemmung . Seh r professionell.
»Wa s habe n Si e mi t de r Sach e z u tun? « wiederholt e Karim . Der Man n ga b kein e Antwort , un d Kari m fragt e mi t erhobene n Händen:
»Lasse n Si e mic h wenigsten s au s diese r Scheiß e hie r rauskommen?« Crozie r vollführt e ein e unbestimmt e Bewegun g mi t seine r Waffe.
»Kom m her . Abe r langsam . Gan z langsam. « Kari m lie ß de n offenen Sarg , wi e e r war , un d schwam m zurüc k z u de n Stufen . Seine Taschenlampe , di e e r wiede r mi t de n Zähne n festhielt , warf flackernde , irrlichternd e Blitz e durc h di e Gruft.
E r gelangt e zu r Trepp e un d erklom m di e Stufen . J e höhe r e r kam, dest o weite r wic h Crozie r zurück , ohn e de n Revolve r z u senken. Windböe n fegte n Regenschaue r vo r sic h her . Kari m stan d auf , naß bi s au f di e Knochen , un d stellt e sic h vo r de n Kommissar.
»Welch e Roll e spiele n Si e i n de r Geschichte ? Wievie l wissen Sie? « fragt e e r noc h einmal.
Crozie r entschlo ß sic h endlic h auszupacken . »198 0 wa r es . Al s sie hierhe r kam , fie l si e mi r sofor t auf . Schließlic h is t da s mein e Stadt, mei n Revier . Un d damal s wa r ic h praktisc h de r einzig e Polizis t von Sarzac . Dies e Frau , di e z u schö n war , z u gro ß un d ein e Stell e als Volksschullehreri n antrete n wollt e … Mi r wa r au f Anhie b klar , daß mi t ih r wa s nich t gan z kosche r wa r …«
»Crozier , da s Aug e vo n Sarzac« , schnaubt e Kari m verächtlich.
»Jawohl . Ic h hab e mein e eigene n Nachforschunge n angestell t und herausgefunden , da ß si e ei n Kin d be i sic h hatt e … E s is t mir gelungen , ih r Vertraue n z u gewinnen . Si e ha t mi r alle s erzählt.
Di e Teufe l wollte n ih r Kin d umbringen , sagt e sie.«
»Da s wei ß ic h alles.«
»Wa s d u nich t weißt , ist , da ß ic h beschlosse n habe , di e Famili e zu beschützen . Ic h hab e ihne n falsch e Papier e besorg t … « Kari m hatte da s Gefühl , i n eine n Abgrun d z u blicken . »Un d we r ware n die Teufel?«
»Eine s Tage s sin d zwe i Männe r aufgekreuzt . Angeblic h ware n sie au f de r Such e nac h alte n Schulbücher n un d behaupteten , sie klapperte n sämtlich e Volksschule n de r Umgebun g ab . Si e ware n aus Guernon , de r Stadt , au s de r auc h Fabienn e gekomme n wa r … Mir wa r sofor t klar , da ß da s di e besagte n Teufe l ware n …«
»Wi e hieße n sie?«
»Cailloi s un d Sertys.«
»Nehme n Si e mic h nich t au f de n Arm ! Damal s ware n Rémy Cailloi s un d Philipp e Serty s zehnjährig e
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