Die purpurnen Flüsse
Schreibe r diese r Zeile n nicht ander s gekonnt , al s sein e Wut , seine n Wahnsin n i n scharlachroten Buchstabe n auszuspeien . Niéman s las:
WI R SIN D DI E HERREN , WI R SIN D DI E SKLAVEN. WI R SIN D ÜBERALL , WI R SIN D NIRGENDWO.
WI R SIN D DI E VERMESSER.
WI R BEHERRSCHE N DI E PURPURNE N FLÜSSE.
De r Kommissa r lehnt e sic h a n di e Wand , zwische n braunen Papierfetze n un d Fäde n vo n Glaswolle . E r löscht e sein e Lampe , doch i n sei n Bewußtsei n dran g ei n gleißende s Licht . Nich t eine Verbindun g zwische n Rém y Cailloi s un d Philipp e Serty s hatt e er entdeckt , sonder n etwa s Besseres : ei n Schemen , ei n Geheimni s in de m zurückgezogene n Dasei n de s Krankenpflegers . Wa s bedeuteten di e Zahle n un d dies e abstruse n Sätze ? Wa s trie b Serty s i n seinem geheime n Unterschlupf?
Niéman s wiederholt e sic h noc h einma l sein e bisherigen Ergebnisse , wi e ma n di e erste n knisternde n Reise r eine s Feuer s in eisige m Win d zusammenrafft . Rém y Cailloi s wa r hochgradig schizophre n un d ei n gewalttätige r Mensch , de r sic h – vielleich t – in de r Vergangenhei t eine s Verbrechen s schuldi g gemach t hatte. Philipp e Serty s hingege n gin g i n diese r düstere n Werkhall e einer geheime n Beschäftigun g nach , dere n Spure n e r wenig e Tag e vor seine m Verschwinde n – ode r seine m To d – auszulösche n versucht hatte.
Noc h hatt e e r keine n konkrete n Beweis , kein e klare n Fakten , doch nu n erwie s sich , da ß wede r Cailloi s noc h Serty s s o durchschaubar waren , wi e ih r öffentliche s Lebe n vermute n ließ . Wede r der Bibliotheka r noc h de r Krankenpflege r ware n unschuldig e Opfer.
VI
30
Sei t beinah e zwe i Stunde n sa ß Kari m a m Steuer . E r fuh r nach Osten.
Mi t zugeschnürte r Kehl e dacht e e r a n da s Gesich t de s Kindes. Manchma l schwebt e ih m ein e Ar t Ungeheue r vor , ei n völli g glattes, konturenlose s Gesich t ohn e Nas e un d Wangenknochen , i n de m zwei blank e weiß e Augäpfe l prangten . Ode r e r stellt e sic h ei n ganz durchschnittliche s Kin d vor , s o unauffälli g un d nichtssagend , da ß es niemande m i m Gedächtni s blieb . Dan n wiede r sa h e r Züg e ohne Eigenleben , surrea l un d instabil , i n dene n jede r Betrachte r nu r sich selbs t erblickt e – ei n schillernde s Gesicht , da s nu r Spiegelbilder zurückwar f un d di e unte r de r Heuchele i eine s Lächeln s verborgenen Geheimniss e de r Seel e verriet . Kari m schauderte . E r hatt e nu r diese ein e Gewißheit : De r Schlüsse l zu r Wahrhei t wa r diese s Gesicht. Unwiderruflich . Be i Age n wa r e r au f di e Autobah n nac h Toulouse eingebogen , wa r dan n de m Cana l d u Mid i gefolg t un d vorbe i an Carcassonn e un d Narbonn e weite r i n Richtun g Sèt e gefahren . Sein Wage n wa r ein e Katastrophe . Ein e Kombinatio n au s hustenden Zylinder n un d rasselnden , klopfende n Einzelteilen . Meh r als hundertdreißi g Stundenkilomete r schafft e e r nich t einma l mit Rückenwind . Kari m grübelt e vo r sic h hin . Mi t durchgedrücktem Gaspeda l fuh r e r entlan g de r Küste , un d da s Kloste r Saint-Jean-de-la Croi x rückt e endlic h i n greifbar e Nähe . Di e grau e Küstenlandschaft mi t ihre n weichen , unbestimmte n Konture n lie ß ih n ei n weni g zur Ruh e kommen , un d e r dacht e nu n übe r di e rationale n Element e nach, di e e r bishe r zusammengetrage n hatte . Di e Besuch e be i dem Fotografe n un d de m Pfarre r hatte n seine n Ermittlunge n ein e neue Wendun g gegeben . E s wa r seh r wahrscheinlich , da ß di e fraglichen Unterlage n de r Ecol e Jean-Jaurè s scho n Jahr e vo r de m Einbruc h in de r vergangene n Nach t entwende t worde n waren . Unterweg s hatt e er noc h einma l di e Schulleiteri n angerufen . Au f di e Frage : »Kan n es sein , da ß all e dies e Dokument e scho n 198 2 verschwunde n sin d und da ß i n al l de n Jahre n nieman d etwa s bemerk t hat? « hatt e die Direktori n gesagt : »Ja. « Au f di e Frage : »E s is t als o denkbar , daß Ihne n da s Verschwinde n de r Dokument e ers t heut e wege n des Einbruch s aufgefalle n ist? « hatt e si e ebenfall s geantwortet : »Ja. « Auf di e Frage : »Habe n Si e j e vo n eine r Nonn e gehört , di e versuch t hat, di e Klassenfoto s au s diese n beide n Jahre n a n sic h z u bringen? « hatte si e geantwortet : »Nein.«
Trotzde m wollt e Kari m gan z sichergehen , eh e e r sic h au f de n Weg machte . I m
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