Die Pyramide: Im Zeichen des Orion (German Edition)
Haare. Dann beugte ich mich herab und küsste seine Wange.
„Ich bin so traurig,“ sagte ich.
„Ich weiß,“ sagte er. Dann schloss er die Augen. Ich wartete einen Moment. Aber er öffnete sie nicht wieder. Er war vor Erschöpfung einge schlafen. Leise verließ ich das Krankenzimmer.
Während der Rückfahrt saß ich allein in einem Abteil und dachte an mein hessisches Intermezzo und dessen Folgen. Das wäre alles nicht passiert, wenn ich nicht auf den großen Knall in der Liebe gewartet hätte. Aber die vermeintlich große Liebe kam und endete mit einem Knall. Ich war nur deshalb mit einem blauen Augen davon gekommen, weil ein versoffener Rechtsverdreher mich gerettet hatte. Einer, dem ich mich wie keinem Menschen sonst zu großem Dank verpflichtet fühlte, und der im Begriff war, auf immer abzutreten.
In Köln stieg ein älteres Ehepaar zu. Sie waren so aufgedreht munter und fröhlich, dass ich es nicht ertrug.
„Entschuldigung,“ sagte ich, „ich muss mal in den Speise wagen. Ich habe den ganzen Tag noch nichts gegessen. Verteidigen Sie meinen Sitzplatz?“
„Das machen wir,“ sie waren amüsiert.
Ich bestellte mir Kartoffelsalat mit Bockwurst und ein Bier. Die Wurst war zu fett, der Kartoffelsalat mittelmäßig, aber das Bier war gut. Die Preise noch besser. Ich entspannte mich und verdrängte die Erlebnisse des heutigen Tages. Danach kehrte ich in mein Abteil zurück und hörte dem Geplauder der beiden älteren Herrschaften zu. Sie freuten sich so über ihre Reise, dass ich mir Vorwürfe machte, sie vorher als lästig empfunden zu haben. Ihre launigen Bemerkungen und ihr gegenseitiges Gefrotzel brachten mich zum Lachen, so dass ich nicht dauernd an Mark denken musste.
Kurti wartete auf dem Bahnhofsvorplatz im Auto auf mich. Er stellte keine Fragen. Wir fuhren schweigend nach Hause. Dort brach ich in hemmungsloses Schluchzen aus. Kurti ließ mich weinen, kochte mir einen Tee und hörte mir zu.
„Mein armes Heideröschen,“ sagte er dann, „das Stechen hat Dir nicht viel geholfen. Der Andere hat kaum einen blutigen Finger davon getragen.“
„Er wird dafür bezahlen müssen. Man muss für alles im Leben bezahlen. Bis jetzt bin nur ich zur Kasse gebeten worden. Er kommt auch noch dran,“ sagte ich zornig.
„Ach,“ meinte Kurti, „darauf würde ich nicht wetten. Das Leben sieht keine Ausgleichszahlungen vor.“
In dieser Nacht hatte ich einen Traum, den ich danach immer wieder in leicht abgewandelter Form durchlebte. Ich saß mit meiner Familie auf der Terrasse bei Kaffee und Kuchen. Plötzlich entdeckten wir am Himmel einen gleißenden Punkt, der immer größer wurde. Ein Kristall der uns blendete? Angestrengt versuchte ich zu erkennen, was es war. Dann erschrak ich, es war eine wunderbar geschliffene Glaspyramide, die sich drehte und dabei die Sonne reflektierte. Plötzlich stellte sie sich auf den Kopf, nahm Geschwindigkeit auf und kam als Geschoss auf uns zu. Ich schrie und erwachte davon. Kurti nahm mich in den Arm, ich kuschelte mich an ihn und schlief wieder ein. Auch in den folgenden Nächten wurden meine Familie und ich von dem Ungetüm bedroht. Es veränderte langsam die Farbe, war nicht mehr strahlend hell, sondern wurde glanzlos und gelb, dann braun und schließlich schwarz. Ich war so in Panik, dass ich abends Angst hatte, ins Bett zu gehen. Ich ließ mir vom Arzt ein Beruhigungspräparat geben. Danach schlief ich tief und fest und der Traum konnte mich nicht weiter heimsuchen.
Eine Woche nach meiner Rückkehr aus Frankfurt erhielt ich Marks Todesanzeige. Drei Monate später reisten wir nach München zu Günthers 50. Geburtstag. Wir fuhren in Frankfurt zum Friedhof und ich brachte den versprochenen Kranz zu Marks Grab. Niedergeschlagen verabschiedete ich mich von ihm. Ob ihm mein Kranz gefiel? Sah er mir vielleicht von irgendwoher zu? Ich wünschte mir, das glauben zu können. Es wäre ein großer Trost gewesen. Aber, wer weiß schon, wie es im Jenseits aussieht, und ob die Toten sich überhaupt noch für die Lebenden interessieren. Was soll en sie auch mit ihnen anfangen?
Kapitel XI V
Dann kam eine reale Bedrohung auf uns zu. Kurti wurde arbeitslos. Seine Firma war von einem großen Konzern übernommen und das Rechnungswesen zen tralisiert worden. Er wurde zwar als Letzter entlassen, erhielt auch eine sehr beachtliche Abfindung, aber der Schock saß ihm in den
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