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Die Quelle

Titel: Die Quelle Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: James A Michener
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beim flackernden Licht den Brunnen und den dahinter aufsteigenden Berg. Er tippte mit dem Finger in die Mitte und sagte: »Wenn wir unsere erste Fahne hierhin stellen, und unsere zweite hier.«
    »Unsere dritte, unsere vierte.« Meschab bezeichnete die Stellen für die fünfte und sechste Fahne - diese letzte auf das Dach der Statthalterei. »Es geht - Fahnen, die uns die Richtung angeben!«
    »Du hast meine Gedanken gelesen«, sagte Wiedehopf feierlich flüsternd. Die beiden waren von ihrem Vorhaben so besessen, daß sie nicht mehr warten konnten, bis es Morgen wurde, sondern sofort auf den Berg steigen wollten, um zu erproben, ob ihr Plan richtig sei. Am Lagertor wurden sie jedoch von einem Wächter angehalten. Er warnte Wiedehopf: Meschab sei ein gefährlicher Gefangener, der das Lager nicht verlassen dürfe.
    »Er ist mein Vorarbeiter, ich brauche ihn«, sagte Wiedehopf.
    »Er hat schon viele umgebracht«, erwiderte der Wächter. Aber Wiedehopf sagte, er nehme ihn auf seine eigene Verantwortung mit, und ging mit Meschab in die dunkle Nacht hinaus.
    Vor der Stadtmauer überquerten sie die Straße, traten aber nicht durch das Tor, sondern folgten der Mauer nach Norden bis dahin, wo die Wassermauer mit einem kleinen Bogen endete - genau dort aber lag der Brunnen. Wiedehopf und Meschab kletterten aufs Dach der Wassermauer und befestigten oben an einem Ast einen Tuchfetzen, den man noch aus der Ferne sehen konnte. Dann stiegen sie den Berg des Baal hinauf, wobei sie von Zeit zu Zeit stehenblieben und sich umsahen. Als sie schon ein beträchtliches Stück oberhalb der Stadt waren und wieder einmal anhielten, sagte der Moabiter: »Hier stellen wir die erste Fahne unserer Reihe hin! Warten wir noch eine Weile, dann geht der Mond auf.« Sie saßen in der Dunkelheit und sahen auf die Stadt hinab, von der nicht viel zu sehen war; nur ein paar schwache Lichter flackerten in einigen Stadtteilen wie ferne Gestirne in einer trüben Nacht. Der Sklave war viel größer als Wiedehopf und viel kräftiger; leicht hätte er den Baumeister erschlagen und dann westwärts zu den Phöniziern fliehen können. Aber er dachte gar nicht daran. Er blieb an der Seite des Mannes, der ihm zum Freund geworden war, und sagte: »Nachdem wir die Stadt von hier aus gesehen haben, bin ich sicher, daß es so geht.« Und dann stieg der Mond über den Bergen Galilaeas empor. Jetzt konnte man die Wassermauer deutlich als eine scharfe, gerade Linie erkennen, die vom rückwärtigen Stadttor zum Brunnen führte. Die genaue Fluchtlinie dieser Mauer galt es festzulegen. Wiedehopf sagte: »Siehst du, wie die Mauer, wenn du sie dir über die ganze Stadt hinweg verlängert vorstellst, genau das Haus des Statthalters schneidet?«
    »Dorthin werden wir die letzte Fahne stecken und dazwischen auf die Hausdächer die anderen«, antwortete Meschab. Er sah in seinem wachen Geist bereits die feste Reihe von Fahnen, die den Arbeitern die Richtung angab, wenn sie den Schacht gruben. Er sah aber auch sich selbst am Boden des Schachts, bereit, mit dem Ausheben des Stollens zum Brunnen zu beginnen. »Jetzt kommt erst wirklich die harte Nuß«, sagte er. »Wie sollen wir vom Grund des Schachtes aus die Fahnen sehen?«
    »Das laß meine Sorge sein«, antwortete Wiedehopf. Schon wollte er mit Meschab zurückgehen zum Sklavenlager, da sah er Fackelschein: Menschen kamen den Berg herab, die den Abend auf dem Gipfel verbracht und Baal auf ihre alte Weise verehrt hatten. Meschab sah Wiedehopf an und sagte, da der Gott ihnen beide heute so gnädig gewesen sei, würde er gern auch dort oben zu Baal beten. »Ich gehe mit dir«, sagte Jabaal. Die zwei Männer stiegen den Abhang hinauf, bis sie den Pfad erreichten, den die Pilger herabgekommen waren. Gemeinsam gingen sie zu dem Heiligtum, das seit mehr als tausend Jahren eine Stätte der Anbetung war.
    Auf der Spitze des Berges stand der dem Baal heilige Monolith, und zu seinen Füßen lagen die Zeugnisse einer friedlich gewordenen Verehrung: ein paar Blumen und eine Taube. Makor diente nicht mehr jenem grausigen Gott, der die Erstgeborenen fraß, und es gab auch keine Tempelhuren der Astarte mehr, denn die Hebräer hatten solche Bräuche unterdrückt. Aber gegen die stille Verehrung des Baal waren sie machtlos gewesen, denn die hebräischen Bauern brauchten den Beistand einer so machtvollen Gottheit genauso wie die kanaani tischen Kaufleute. Selbst König Saul hatte dem Baal Ehre gezollt, indem er seine Söhne nach dem freundlich

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