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Die Quelle

Titel: Die Quelle Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: James A Michener
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schmutzstarrenden Lager gewesen; durch
    Wiedehopf zu Jahwe bekehrt, hatten sie ein neues Leben beginnen können.
    An diesem Abend beachtete der Baumeister die Hütten mit den gewöhnlichen Sklaven nicht, sondern wandte sich zum schlimmsten Teil des Lagers, zur Umzäunung innerhalb der Umzäunung, dorthin, wo die gefährlichen Gefangenen eingesperrt waren. Hier fand er auch den Mann, den er suchte. Etwas älter als er selbst war er, groß, kräftig und sauber rasiert. In der Stadt kannte man ihn als Meschab den Moabiter. Diesen Meschab, einen Mann von außergewöhnlichem Mut, hatte König David in einem seiner Kriege gegen Moab gefangengenommen. Er war der einfallsreichste und klügste Sklave; beim Mauerbau hatte er sich als Wiedehopfs Vorarbeiter bewährt. Jetzt erhob er sich ein wenig, fast frech, von seiner fauligen Binsenmatte und begrüßte, auf einen Ellbogen gestützt, seinen Vorgesetzten. Die flackernde Lampe, die Wiedehopf trug, ließ die harten Züge des Mannes erkennen. Der Baumeister sagte: »Meschab, die Zeit ist gekommen. Wir müssen die Anlage für den Brunnen bauen.«
    »Man kann es tun«, knurrte der Sklave, »wenn Ihr mit einer Schwierigkeit fertig werdet.«
    »Wir haben viele. Welcher?«
    »Wir können den Schacht graben. Und wir können den Stollen graben.«
    »Du hast also keine Angst vor dem Felsen?« fragte Wiedehopf. »Wenn Ihr uns eiserne Werkzeuge von den Phöniziern bringt, bohren wir uns durch den Felsen. Die Schwierigkeit ist die: Wenn wir unten am Fuß des Schachts stehen, wie wollen wir wissen, in welcher Richtung wir zu graben haben, um den Brunnen zu erreichen?«
    Wiedehopf lachte etwas bitter. »Genau dieselbe Frage hat meine Frau gestellt.«
    »Und was habt Ihr geantwortet?«
    »Ich sagte ihr, das solle sie meine Sorge sein lassen.«
    »Und wißt Ihr, wie?« fragte der Sklave und setzte sich auf.
    »Als ich noch ein Junge war, haben wir oft einen kanaanitischen Spruch aufgesagt: >Vier Dinge gibt’s, die sind zu wunderbar für mich, ja, denn ich kenn’ sie nicht: den Weg des Adlers in der Luft; den Weg der Schlange auf der Erde; den Weg des Schiffes inmitten der See; und den Weg des Mannes mit der Frau.<« Das flackernde Licht zeichnete tiefe Schatten auf den kahlen Kopf und die ernsten Züge des Baumeisters, ließ aber die Augen des Mannes aufleuchten, der sich schon als Kind seine Gedanken über die Natur gemacht hatte. »Der Weg des Schiffes inmitten der See«, wiederholte er leise.
    »Aber was haben wir mit Schiffen zu tun?« fragte Meschab, denn er hatte noch nie das Meer und die Schiffe dort gesehen.
    »Vor vielen Jahren, als ich mit meinem Vater in Akcho war, gingen wir am Ufer entlang und beobachteten ein kleines Schiff. Meschab, es war so klein, daß man sich fragte, wie es sich da eigentlich auf den Wellen halten könne. Und überall lauerten Felsenriffe und Sandbänke, aber irgendwie fand das kleine Schiff aus Zypern den richtigen Weg in den Hafen. Wie?«
    »Zauberei?«
    »Das dachte ich auch, aber als ich den Kapitän fragte, lachte der nur und zeigte auf drei Fahnen, die auf Gebäuden weit im Landesinnern standen. >Was bedeuten sie?< fragte ich. >Die Richtung<, sagte er. Und dann erklärte er mir, daß ein Seefahrer sicher zu seinem Ankerplatz findet, wenn er auf die Fahnen achtet: Er muß sie so sehen, daß sie genau in einer Reihe hintereinander stehen.« Schweigend saßen die beiden Männer eine Weile nebeneinander. Allerlei Getier der Nacht, angezogen vom Licht, umschwirrte sie, und von den schmutzigen Matten hörte man das Schnarchen der erschöpften
    Sklaven. Dann sagte Wiedehopf: »Kürzlich.« Er hielt inne, überlegte sich, was er sagen wollte, und begann nochmals. »Ich stand im Norden der Stadt auf der Mauer, beim rückwärtigen Tor. Ich konnte den Brunnen sehen. Und als ich den Berg hinaufsah, habe ich auch eine Stelle gefunden, wo wir eine Fahne aufziehen könnten.« Er machte eine Pause. »Aber wir brauchen mindestens zwei Fahnen.« Er hatte kaum das Wort zwei ausgesprochen, als Meschab ihn beim Handgelenk packte. »Haben wir. Eine ganze Reihe können wir haben. Innerhalb der Mauern. Die könnten wir sehen, und sie würden uns die Richtung weisen.« Aufgeregt stellte Wiedehopf sein Tonlämpchen auf den Boden und versuchte, die Stelle daneben ein wenig zu säubern, um sein Leder auszubreiten, denn auch die Erde war verschmutzt. Meschab wischte mit einer kräftigen Bewegung seines rechten Arms den Schmutz beiseite. Und nun zeigte Wiedehopf seinem Sklaven

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