Die Quelle
Stelldicheins beigetragen, und er glaubte auch zu wissen, warum: Sie hatte genug von ihrem fetten kleinen Mann, der nur Löcher graben wollte. Und gewiß vermutete sie hinter jedem Mann aus Jerusalem ein Abenteuer. Noch mancherlei andere Erklärungen hatte Amram bereit, und stets spielte er selbst dabei eine wesentliche Rolle. An das allerdings, was Kerith ihm nun zu sagen hatte, hätte er wohl nie gedacht.
»Ich wollte so gerne mit Euch sprechen«, sagte sie, indem sie sich in einiger Entfernung geziert auf einen dreibeinigen Stuhl setzte. »Worüber?« fragte er sehr leutselig.
»Ich muß nach Jerusalem«, brach es aus ihr heraus. »Mein Mann kann dort so viel bauen. Ihr habt seine Arbeit gesehen. Und ich.«
»Was ist mit dir?« fragte der Feldherr, indem er sich vorneigte und seine weit auseinanderstehenden Zähne zeigte. »Ich will dort sein, wo man nur Jahwe verehrt.«
»Was willst du?«
»Mein Vater war Priester hier in Makor, und seine Vorfahren, soweit wir zurückdenken können, waren es auch.«
»Aber was hat das mit Jerusalem zu tun?«
Sie sagte es ihm. Und so hörte der Feldherr Amram zum erstenmal in seinem Leben jene Klage, die für Jahrhunderte durch Israel ertönen sollte: »In Makor sind wir weit von Jahwes Quell, aber in Jerusalem können wir seinem Heiligtum nahe sein. In Makor müssen wir die Welt mit Baal teilen; aber in Jerusalem herrscht Jahwe allein. In unserer kleinen Stadt gibt es keinen König; aber in Jerusalem wohnt David, und bei ihm sein, heißt bei der Sonne sein.«
»Du kannst auf vielerlei Wegen nach Jerusalem gelangen«, sagte der General und ging auf sie zu. Sie aber verstand in ihrer Ahnungslosigkeit seine Absicht falsch und erhob sich, denn ihr fiel ein, daß sie ihn noch gar nicht in aller Form begrüßt hatte. Und außerdem mußten ihn die Anstrengungen der letzten Tage erschöpft haben. So sprach sie mit ihm wie mit einem reisemüden Verwandten. »Ihr müßt sehr müde sein«, sagte sie und führte ihn in ein Zimmer, in dem Becken mit kühlem Wasser standen. »Darf ich Euch frisches Wasser über den Kopf gießen, damit Ihr gut schlafen könnt?« Amram, völlig überrumpelt, legte sein Obergewand ab und beugte sich über eine Abflußrinne, während sie sein Haar wusch, als sei er ihr Vater. Dann trocknete sie ihm Kopf und Brust mit einem dicken Tuch, gab ihm ein frisches Gewand, geleitete ihn zu einem Bett und versprach ihn zu wecken, falls er zu lange schlafe. Widerspruchslos ließ Amram das alles über sich ergehen. Als Kerith die Vorhänge schloß, fiel ihr Blick zufällig auf den Hang des Berges und auf ihren Mann. »Er ist noch immer dort oben, fuchtelt mit den Armen herum und gibt alberne Zeichen«, sagte sie. »Genau dort wollte ich ihn haben. für eine Weile.«
Kerith sah auf den behaglich daliegenden Feldherrn, der unter diesen von ihm wahrlich nicht erwarteten Umständen schon beinahe eingeschlafen war, und fragte: »Wie können wir nur nach Jerusalem kommen, Feldherr Amram?« Der Krieger blickte zu der reizenden Frau auf und lächelte. »Hilf ihm bei seinem unterirdischen Gang. Wenn er fertig ist, wird der König sicher davon erfahren.« Und während er einschlief, sah er Wiedehopf vor sich, wie er auf dem Berg stand und seine Arme schwenkte.
Wiedehopfs Plan war einfach. An einer Stelle oberhalb der Stadt, aber genau in der Verlängerung der Wassermauer, hatte er die erste rote Fahne aufgestellt, als unverrückbares Zeichen für die nächsten drei Jahre, denn man konnte sie von jedem Punkt der Stadt aus sehen. Dann war er höher gestiegen und hatte die zweite Fahne angebracht, und zwar in einer Linie mit der ersten, dem Brunnen und der Mitte der Wassermauer. Solange die Sklaven diese beiden Fahnen so anpeilten, daß eine Fahne die andere deckte, hatten sie die Richtung für den unterirdischen Gang. Nachdem das getan war, hatte er die »albernen Zeichen« gegeben, wie seine Frau es genannt hatte.
Auf vier Dächern in der Stadt standen nämlich Sklaven, ebenfalls mit Fahnen. Und nun winkte Wiedehopf diese vier mit Hilfe vorher verabredeter Zeichen ein, solange, bis sie alle mit den bereits aufgestellten Fahnen in einer Reihe standen. Als jeder Mann den richtigen Platz hatte, hob Wiedehopf ein weißes Tuch: Die Sklaven befestigten die Fahnen auf den Dächern. Hier sollten sie für die Dauer der Arbeit am Schacht stehenbleiben. Meschab der Moabiter hatte seinen Platz auf dem Dach der Statthalterei, denn dieses Haus überragte alle anderen und bildete somit
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