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Die Quelle

Titel: Die Quelle Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: James A Michener
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gekannten Eindringlichkeit geprägten Stimme: »Es ist befohlen, daß ich meinen Sohn morgen nach Jerusalem führe.« Kaum hatte sie diese Worte ausgesprochen, als sie auch schon wußte, daß sie der einzigen, wichtigsten Forderung dieses Tages ausgewichen war. Denn nicht »Es ist befohlen« hatte sie sagen sollen, sondern »Jahwe befiehlt«. Aber als arme Witwe von niedriger Herkunft hatte sie weder den Mut noch die Hoffart, diesen so schwerwiegenden Satz auszusprechen. An diesem Tage vermied sie, auf was es ankam, und erlegte die Verantwortung einer namenlosen Macht auf. »Es ist befohlen«, sagte sie.
    Aber selbst diese Ausflucht genügte, etwas im Zimmer des Statthalters spürbar werden zu lassen. Jeremoth hätte nicht erklären können, was es war. Und doch wußte er irgendwie, wer den Befehl gegeben hatte - bei diesen Hebräern ging es bisweilen geheimnisvoll zu, und deshalb wollte er sich nicht auf etwas einlassen, was ihn seiner Meinung nach nichts anging. Eher Kanaaniter als Hebräer, eher für Baal als für Jahwe, mußte er doch als Mann, der sich verantwortlich fühlte für Makor, immer darauf bedacht sein, alles zu vermeiden, was den einen oder den anderen Gott hätte kränken können zu einer Zeit, in der die Schatten Ägyptens und Babylons so tief auf Galilaea fielen. Diese Überlegung war es, die ihn hinderte, Gomer schroff abzuweisen. Zu seiner Tochter und zu Rimmons Überraschung sagte er: »Also gut, Gomer. Hier ist dein Beutel mit Geld. Baue dir die beste Hütte in Jerusalem.«
    Rimmon versuchte sich zu entschuldigen: »Herr, ich hatte nichts damit zu tun.« Aber da ging der Statthalter bereits, froh, die Last der Entscheidung loszusein. So war die erste der Bewährungsproben, die kennzeichnend werden sollten für dieses so bedeutungsvolle Zeitalter, bestanden, obwohl in jenem Augenblick weder Gomer noch Jeremoth dies erkannten. Gomer mit der sanften Stimme hatte gesiegt.
    Die Reise nach Jerusalem in diesem heißen Monat Ethanim wurde, wie Jahwe es beabsichtigt hatte, zu einem Erlebnis, das Rimmon niemals vergessen sollte - allerdings empfand er die Reise zunächst mehr als ein Abenteuer des Leibes denn als ein
    Aufsteigen im Geiste. Mehr als neunzig Meilen waren durch schwieriges Gelände zurückzulegen, und das im heißen Herbst. So nahm die Reise acht Tage in Anspruch. Mutter und Sohn verließen Makor in der Morgendämmerung, hochgewachsen beide, und beide gekleidet in billigste Gewänder, mit schweren Sandalen an den Füßen und Wanderstäben in der Hand. Auf dem Rücken trugen sie etwas Wegzehrung, im Geldbeutel ein paar Silberstücke. Außerdem hatte Rimmon noch etwas anderes bei sich, was sich als wertvoll erweisen sollte: lange Schnüre, um damit seine Hütte auf den Hängen zu befestigen, die hinauf zu den Mauern von Jerusalem führten.
    Rimmon geleitete seine hagere Mutter, die keine Ahnung hatte, wo Jerusalem lag. Zunächst ging er in südlicher Richtung durch den Olivenhain. Dort wollte er Baal bitten, die Bäume während seiner Abwesenheit zu behüten. Noch ehe er jedoch neben der Ölpresse niederknien konnte, nahm ihn seine Mutter beim Arm und sagte: »Es gibt hinfort keinen Baal mehr.« Hart und fest wie eine eiserne Klammer war ihr Griff, als sie ihn fortzog.
    Vom Olivenhain ging es durch den düsteren Sumpf, wo allerlei fliegendes und schwirrendes Geziefer sie quälte, dann über den Fluß Kison und hinauf zur festen Stadt Megiddo, wo sie um den guten König weinten, der hier im Kampf gegen die Ägypter gefallen war.
    Von dieser Stätte der Trauer zogen sie weiter nach Samaria, einst die Hauptstadt des nun vernichteten Königreichs Israel. Seltsam mutete die Stadt sie an, denn Fremde wohnten jetzt hier, zwangsweise angesiedelt durch den Vater Sanheribs; im Laufe der Zeit hatten diese Fremden einen eigenartigen Glauben ausgebildet, im wesentlichen entlehnt von den Hebräern und doch besonderer Prägung. So waren die beiden Reisenden froh, die Stadt bald wieder verlassen zu können und bergan weiterzuwandern nach Bethel. Hier galt es eine ernste
    Schwierigkeit zu bewältigen; denn die Stadt hatte stets als der südliche Vorposten Israels gegolten und zugleich als eine Art Sperre gedient, um von Norden Kommende, die nach Jerusalem wollten, am Überschreiten der Grenze zu hindern. So war es sogar jetzt noch: Viele in Bethel hielten einen jungen Mann im wehrfähigen Alter, der den Norden verließ, für einen treulosen Verräter, und einige Eiferer versuchten auch, Rimmon am Weiterziehen

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