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Die Quelle

Titel: Die Quelle Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: James A Michener
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den felsigen Boden des Stollens, dachte Gomer: Unser Schacht ist so gelegen, daß die Sonne niemals bis auf den Grund herab scheint. Nie hatte es die Sonne getan, und nie würde sie es tun können. Aber das Licht war da. Und eine Stimme sagte: »Gomer, Witwe des Jathan, in den kommenden Tagen werde Ich durch deinen Mund sprechen.«
    »Lebt mein Sohn?« fragte sie. »Durch deinen Mund will Ich Israel erretten.«
    »Ist mein Sohn Rimmon am Leben?«
    »Die Mauern dürfen nicht vollendet werden! Hörst du, Gomer, Witwe Israels?«
    »Aber wir müssen die Babylonier vernichten«, rief sie, noch immer hingestreckt auf dem feuchten Boden.
    »In Ketten und Jochen sollt ihr nach Babylonien fortgeführt werden. Es ist das Schicksal Israels, unterzugehen in dem Lande, das ihm anvertraut war, auf daß es seinen Gott noch einmal finde.«
    »Ich kann Deine Worte nicht verstehen«, murmelte Gomer.
    »Gomer, Witwe Israels, die Mauern dürfen nicht vollendet werden!« Das Licht verblaßte, die Stimme erlosch. Gomer richtete sich vorsichtig auf. Der Anblick ihres zerbrochenen Kruges brachte sie in die Wirklichkeit zurück. Sie begann zu weinen, denn sie hatte nicht genug Geld, einen neuen Krug zu kaufen, und wußte nicht, was tun.
    Behutsam stieg sie den Schacht empor, vorsichtig setzte sie die Füße auf die ausgetretenen Stufen. Und an nichts weiter konnte sie denken als an die Stimme, die ihr die Antwort auf die Frage nach ihrem Sohn verweigert hatte. Weinend kam sie zu ihrem Haus zurück, wo ihr Enkelsohn Ischbaal in der Sonne spielte und ihre geliebte Schwiegertochter Mikal das Mittagsmahl bereitete. Weinend rief Gomer: »Nun bin ich sicher, daß Rimmon tot ist. Und auch unseren Wasserkrug habe ich zerbrochen.«
    Der eine Verlust wog für die beiden unglücklichen Frauen so schwer wie der andere, denn selbst ein Krug war in Makor eine unerschwingliche Kostbarkeit geworden. So weinten Mutter und Tochter gemeinsam, und über ihrem Klagen dachte Gomer nicht mehr an die Mauer. Jeremoth aber vollendete den Bau der Mauer.
    Und dann kam der Tag, der die Entschädigung für die langen Monate der Trauer brachte. Ein Kind, das auf der neuen Mauer spielte, sah im Osten an der Straße nach Damaskus eine Staubwolke sich erheben und rief: »Ein paar Männer kommen heim!« Niemand achtete auf die Worte. Aber nach einer Weile sah der Junge wirklich Männer und jauchzte: »Unsere Männer kommen heim!« Wieder kümmerte sich niemand um ihn. Aber da sah das Kind einen Mann, den es kannte, und schrie gellend: »Gomer, Gomer! Rimmon kommt heim!« Schnell verbreitete sich die Nachricht in der Stadt. Gomer und ihre Tochter eilten auf die Mauer, und da sahen sie unter sich Rimmon, groß und blond und sehr mager. Dreißig oder vierzig Männer aus Makor führte er an, wie er sie als Hauptmann nach Norden geführt hatte. Und keiner war geblendet oder verstümmelt. Niemand sprach ein Wort, weder die Männer dort unten auf der Straße noch die Frauen, die sie unter Tränen herankommen sahen. Aber das Kind rief immer wieder die Namen: »Da ist Rimmon und Schobal und Azareel und Hadad der Edomiter und Mattan der Phönizier.« Einen nach dem andern rief es von den für tot Gehaltenen auf, die da die Rampe zum Tor ihrer armen Stadt heraufstiegen.
    Die entlassenen Gefangenen umarmten ihre Frauen und Kinder, die vor Freude laut jubelten. Am Tempel von Astarte tanzten nackt die drei Priesterdirnen und nahmen alle Männer, einen nach dem andern, in ihre Hütten zum Dank an die Göttin. Und dann zog eine Prozession, angeführt von den Tempelhuren und zwei alten Priestern, hinauf zur Höhe, um an Baals Säule Opfer darzubringen. Lebensmittel, monatelang sorgsam gehütet, wurden hervorgeholt, es wurde getanzt und geweint und geliebt - Männer und Frauen waren gleichermaßen trunken auch ohne Wein. Die Männer waren heimgekommen! Wieder einmal hatte Baal die kleine Stadt gerettet.
    Der Morgen dämmerte bereits, als Rimmon und seine Freunde ihren Bericht von Karchemisch und Babylon beendeten. Von der Schlacht sagten sie nur, Ägypten sei so vernichtend geschlagen, daß es sich niemals mehr erholen könne. Niemals mehr werde man in Makor den Tritt ägyptischer Heere vernehmen. Und die Skarabäen der Beamten könne man getrost fortwerfen, denn niemals mehr brauche man sie, um amtliche Schriftstücke zu siegeln. Über diese Neuigkeiten trauerte niemand, denn die Ägypter waren rücksichtslose und grausame Herren gewesen, und unter ihrer Macht war es mit dem Lande bergab

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